Der Tanzabend und eine Mittagspause fielen aus. Bis in die Nacht hinein stimmten die Delegierten Änderungsanträge ab. Mit Erfolg: Fast 97 Prozent der Anwesenden stimmten am Sonntagmorgen für ein Parteiprogramm. Zuvor hatte Klaus Ernst in einer außergewöhnlich emotionalen Rede die gesellschaftliche Bedeutung der Linken hervorgehoben. „Partei sein heißt, Partei zu ergreifen“, sagte er unter anderen und ließ keinen Hehl daran, wo und für wen wir stehen, woher wir kommen: Der Arbeiterklasse.
Zeitpunkt, Ort und Anlass des Parteitages waren historisch, und bewusst gewählt: Vor 120 Jahren verabschiedete die SPD in Erfurt ebenfalls ein Programm. Es wurde mit einer szenischen Lesung am Freitagabend von den Nachfahren gewürdigt: Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linken verlasen Passagen, die wenig an Aktualität eingebüßt haben: Das Wahlrecht, der Achtstundentag und der Arbeitsschutz waren zentrale Themen. Das Programm hatte eine marxistische Basis, die Koordinierung der Entwürfe erfolgte unter Wilhelm Liebknecht. Es besaß damals internationalen Vorbildcharakter. Das Programm der Linken tut dies ebenfalls!
Die erst vier Jahre alte Linke wurde in Erfurt durch 500 Delegierte präsentiert, davon ca. 20 Genossinnen und Genossen aus Hamburg. Über den Entwurf für das Parteiprogramm war lange diskutiert worden, Kommissionen wurden gebildet, eine Redaktionsgruppe fasste alle Beiträge zusammen. 1.400 Anträge wollten am Ende noch eingearbeitet werden.
Das Programm kommt zur richtigen Zeit: Immer mehr Menschen wollen diesen Kapitalismus nicht mehr. Stuttgart 21, Fukushima, Afghanistan, Börsencrash und Hartz VI zeigen, dass dieses System nicht den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sondern Profite.
Die Linke hat ihren antikapitalistischen und internationalistischen Charakter untermauert und klare Signale gesendet: Die Wahrheit über die Ursachen von Armut, Unterdrückung, Kriegen und Raubbau an der Natur spitzen sich in Widersprüchen zu, die das System in Frage stellen.
Die Rolle der Bundeswehr und der NATO, Forderungen nach einer solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung, Rolle des Bildungssystems, ein aufgeklärtes Menschenbild und auch die Eigentumsfrage sind zentrale Bestandteile des Programms. Das Parteiprogramm liest sich wie ein Geschichtsbuch, das gleichzeitig Antwort auf die drängendsten Fragen der Gegenwart und Zukunft gibt.
Die Überwindung der Unterdrückung der Frau hat die Linke in den Mittelpunkt ihrer Programmatik gestellt. Moderner gibt es den Feminismus bislang nicht! Aus gutem Grund: Die ökonomische Unabhängigkeit der Frau gilt als Schlüssel zur Gleichberechtigung – hierzu sind gleich eine Reihe von Positionen im Programm enthalten. Geschlechterverhältnisse sind Teil der Produktionsverhältnisse.
Auch die körperliche Selbstbestimmung der Frau wurde mit einer konsequenten Absage am Abtreibungsverbot und an häuslicher Gewalt berücksichtigt. Das Menschenbild der Linken ist ein umfassendes, daher war es eine richtige Entscheidung, auch die Situation behinderter und älterer Menschen, Kinder, Flüchtlinge, die Vielfalt der Geschlechter und gleichgeschlechtliche Lebensweisen deutlich aufzugreifen. Dass Drogenkonsum nicht mehr kriminalisiert werden darf, vervollkommnet ein emanzipatorisches Menschenbild.
Die ökologische Frage wurde im Programm mit der sozialen verschränkt und zur Systemfrage gemacht: So wie es keinen grünen Kapitalismus eben kann, kann es auch keinen sozial gerechten geben.
Friedenspolitisch steht die Linke in der Tradition des Antifaschismus: Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen, die Bundeswehr soll an keinen Auslandseinätzen mehr teilnehmen, die NATO aufgelöst werden.
Der demokratische Sozialismus ist kein Lippenbekenntnis oder Vision, sondern konkretes Ziel der Linken. Versuche der softlinken Strömung „FDS“, umständlich eine Transformation in eine gerechtere Welt ins Programm hineinzuformulieren, scheiterten. In aufwendigen Verhandlungen wurden viele Kompromisse ausgehandelt, damit FDS-Zugehörige dem Programm auch zustimmen konnten, zum Beispiel beim Bundeswehreinsatz und wie wir es mit dem Öffentlichen Beschäftigungssektor halten.
Die wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen wirkten am Ende wie eine trotzige, egomanische Selbstdarstellung.
Außer dem Parteiprogramm gab es mehrere Satzungsänderungen: Die Linke ist nun kein Verein mehr. Passagen, die die Mitgliedschaft nach Ost und West unterschieden, wurden gestrichen.
Das Programm wird noch durch einen Mitgliederentscheid legitimiert. Daher sollte es nun aktiv in die Gliederungen eingebracht und besprochen – und dann aktiv gelebt werden.
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