Die Hamburger Morgenpost titelt am vergangenen Freitag „Die Lüge vom gesunden Essen und verpasst dem Geschäftsmann Tim Mälzer eine kostenlose Werbung für seine neue Show „Der Ernährungscheck“. Mälzer impliziert, angeblich wissenschaftlich untermauert: Esst doch, was ihr wollt. Hört sich schön an. Es beruhigt jene, die mit Schuldgefühlen essen und übergewichtig sind. Hört sich schrecklich an für jene, die ihre Gelüste nach Süßem bekämpfen, die für eine enge Hose hungern. Hört sich katastrophal an für alle, die gegen die vielen Ernährungs-Mythen, die sich rund ums Essen ranken, argumentieren.
Es ist skandalös, wie Mälzer mit gefährlichen Halbwahrheiten um Quote für seine Show wirbt, die in der ARD am 27. Februar um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird,. Die Sendung bietet schon deswegen keine Empfehlungen für das reale Leben, weil ausschließlich Männer daran teilnehmen. Grund: Frauen hätten Hormonschwankungen. Werden Kantinen künftig getrenntes Frauen- und Männeressen anbieten, Supermärkte getrennte Regale für jeweils weiblich und männlich geeignetes Essen anbieten?
Tim Mälzer hat in einem Recht: Es gibt kein ungesundes Essen. Es kommt vielmehr darauf an, wie ich esse. Ungesundes Essverhalten gibt es sehr wohl. Warum sonst sind Essstörungen wie Binge-Eating, Bulimie und Magersucht Volkskrankheiten und selbst bei Männern keine Seltenheit mehr?
Ungesundes Essverhalten ist das Ergebnis eines jahrelang geprägten Verhaltens. Zwei der Hauptverantwortungen liegen im Fast Food und in der ständigen Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Mit der weitgehenden Öffnung des Ladenschlussgesetzes wurde dies noch verschärft. Zubereiten muss sich Essen heute eigentlich niemand mehr. Das Kochen überlassen wir den Fernsehsendern. Statt des herbeigeredeten Nachahmungseffekts führt es nur zu einer weiteren Variante des passiven Konsumverhaltens.
Das häufig gestörte Körperbild von Frauen und Männern ist der dritte Hauptgrund für „falsches“ Essen. Hier bietet Tim Mälzer immerhin als Person ein angenehmes Gegenbild. Wer allerdings kocht, darf nach Volksmeinung auch ein wenig runder sein.
Burger schmecken lecker, Pommes auch. Und auch die geschmierten Brötchen beim Hansebecker sind einen Zwischendurch-Happen wert. Aber genau darin liegt das Problem. Das sind stets vollwertige Mahlzeiten. Wer in der U-Bahn, im Laufen, schnell an der Ecke oder spät abends zur Entspannung noch mal kurz 700 Kalorien „Schnell-Essen“ verschlingt, isst nicht gesund.
Deswegen ist es eine Lüge, zu behaupten, ein gesunder Mensch könne essen, was er wolle. Wie bleibt er denn, in Anbetracht steigender Lebenserwartung, bis ins hohe Alter gesund? So wie es ein Mythos ist, dass leichtes Übergewicht gesundheitsgefährdend ist, ist es falsch, zu sagen, Burger und Pommes könnten keinen Schaden anrichten. Abstrakte Floskeln wie „Nicht mehr essen, als der Körper verbrennt“ sind Pseudo-Botschaften. Jeder Mensch „verbrennt“ anders – je nach Alter, nach beruflicher Tätigkeit, ob Raucher oder nicht. Schon eine Medikament kann „das verbrennen“ stark beeinträchtigen.
Essen soll das sein, wofür die Evolution es erfunden hat: Erhalt des Organismus. Dass es lecker sein sollte und auch Wohlbefinden erzeugt, ist ein geschichtlich noch sehr junger Anspruch – von der Lebensmittelindustrie wie auch von Show-Köchen profitabel interpretiert. Mythen eben.
Eine Ernährungs-Revolution, wie die Mopo behauptet, ist Mälzers Ernährungs-Check nicht. Eher zum Abschalten. Stattdessen empfehle ich einen Gang auf den Markt: Kaufen Sie ein, was Sie gern essen und bereiten es sich selbst zu. Und danach gehen Sie spazieren oder schauen einen schönen Krimi.
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