Am siebenten Tag sollst du ruhn …

Toll, dieser Spruch, nicht? Ich verstoße seit Jahren dagegen. Der Sonntag ist ein Tag für mich geworden, der zwar immer noch anders ist als andere Wochentage, der aber kein Ausruhtag ist. Vor meiner Abgeordentenzeit war er – vormittags – ein Putztag. Wann sonst hätte ich Zeit gehabt, mal gründlich durchzugehen, in alle Ecken, meine Drei-Meter-Stuckdecken abzuspinnweben, hinterm Bett die Wollmäuse einzufangen und den Fenstern wieder zur Durchsicht zu verhelfen?

Seit ich Abgeordnete bin, wünsche ich mir eine Reinigungskraft, die das erledigt. Ich hatte und habe den Haushalt zwar nicht alleinverantwortlich am Hals, aber die Paarzeit, die bleibt, möchten wir nicht mit Putzen verbringen.

Sonntags wird ausgeschlafen. Das heißt bei uns: Zwischen acht und neun Uhr aufstehen statt um halb sieben. Lange frühstücken, mit Toast und Marmelade. Dann: Schreibtisch. Meine Website aktualisieren, Mailpostfach von erledigter Post und MBs befreien, Presseerklärungen vorbereiten, Anträge und Anfragen schreiben oder sichten, Bürgeranfragen beantworten und – vor Bürgerschaftssitzungen – Reden konzipieren.
Circa zwei Stunden nimmt das Lesen von Eingaben (Petitionen) ein. Oft sind am Folgetag, also direkt vor den Sitzungen des Eingabenausschusses, weitere Aktivitäten erforderlich: Fragen erarbeiten oder ich muss mich sachkundig machen, weil ich mich in einer Thematik nicht so gut auskenne (Ganz blöd sehe ich immer beim Verwaltungs- und Beamtenrecht aus).
Ich mache das alles gern, auch wenn es zuviel ist. Es ist eine Art des selbstbestimmten, kreativen Arbeitens, das Befriedigung bringt.

Ich kann im Schlabberlook durch die Wohnung gehen und mich mit einer Halbliter-Tasse Tee verwöhnen. Die Eingaben lese ich auf meinem Bett, manchmal kommt die Katze dazu und schnurrt Sabber auf meinen Pullover. Oder sie versteckt sich unter der Wolldecke, sodass nur noch ihr grauweißer Schwanz zu sehen ist.
Heute steckten hinter den Eingaben wieder eine Menge menschlicher Schicksale. Strafgefangene beschweren sich darüber, dass sie ungerecht behandelt werden. Einem werden zu wenige Medikamente zugeteilt. Einem anderen wurde der Fernseher für zwei Wochen weggenommen. Dem einen macht allerdings seine Medikamentenabhängigkeit zu schaffen, der andere hat das TV-Gerät manipuliert.

Oder: Einer Witwe soll ihr Haus zwangversteigert werden, gleich zwei Banken sitzen ihr im Nacken. Wenigstens die eine Bank hat einen entspannteren Umgang zugesagt.

Ein anderer Fall: Eine siebenköpfige Familie braucht dringend eine neue Wohnung. Doch weil der Vater ein paarmal heftig ausgerastet ist, will man ihnen keine Wohnung mehr vermieten.
Dann ist da noch der Obdachlose, der einen Sachbearbeiter beim Amt massiv bedroht hat, dass er Hausverbot erhielt. Ich lese, was er gesagt hat und weiß nicht, wen ich mehr bedauern soll: Den Obdachlosen, der verzweifelt ist oder den bedrohten Sachbearbeiter. Beide haben doch die Arschkarte. Das Hausverbot ist wenigstens befristet.

Ein anderer Petent, wie Leute genannt werden, die Eingaben machen, hat ungefähr 20 Strafanzeigen gestellt. Die meisten wurden eingestellt, aber er beschwert sich, dass ihm nie Recht gegeben wird. Da können wir allerdings auch nicht helfen.

Eine Frau möchte endlich einen Hund aus dem Tierheim holen. Da er aber ein Listenhund ist, also angeblich unwiderlegbar gefährlich, muss sie ein berechtigtes Interesse nachweisen. Was das aber genau ist, verrät ihr das Bezirksamt nicht. Dass das Tier zwei Wesenstests bestanden hat, interessiert scheinbar niemanden, außer mir und hoffentlich die anderen Abgeordneten im Ausschuss.

Betroffen macht mich dieser Fall: Ein Mann will Schmerzensgeld, mehrere Hunderttausend Euro. Ich lese eine Geschichte über häusliche Gewalt der schlimmsten Sorte. Der Mann hat selbst die der Frau zu Hilfe kommende Polizei angegriffen, wird er letztlich von einer Dienstwaffe getroffen und behält schwere Gesundheitsschäden zurück. Alle Details stehen in dem knochentrockene Polizeibericht, der sich dennoch liest wie eine Drehbuchvorlage. Warum lebt die Frau noch mit diesem Kerl noch zusammen? Warum schafft sie es nicht, sich von ihm zu lösen?

Oft sind die Eingaben tragisch und komisch zugleich. Nicht selten aber haben die Menschen keinen Überblick über ihre Verhältnisse. Manchmal sind sie geistig beeinträchtigt oder haben Suchtprobleme – wie dieser Mann, der immer unter Alkoholeinfluss sein Frau geschlagen hat und wohl auch sein kleines Kind, und den selbst die Polizei kaum bändigen konnte in seiner Aggressivität und Wut.

Ich bin dennoch immer froh, wenn bei Eingabe geholfen werden kann. Das ist relativ oft der Fall. Der Eingabenausschuss trägt dazu bei, dass Willkür im Behördenhandeln nicht unbeachtet bleibt. Jeden Monat werden auch VertreterInnen des Senats eingeladen, damit sie persönlich Näheres zu bestimmten Fällen vortragen. Das ist mal erhellend, mal wird aber auch deutlich, wo der Amtschimmel wiehert. Hier reguliert der Eingabenausschuss recht konsequent!

Der Eingabendienst empfiehlt den Abgeordneten das mögliche Vorgehen. Nicht immer folgen wir dem und oft sind die Entscheidungen auch nicht einstimmig. Vor allem ich wehre mich oft dagegen, Eingaben als nicht abhilfefähig zu bescheiden. Abschiebungen aus Hamburg stimme ich niemals zu. Die Ausländergesetze sind rassistisch und ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, einer Eingaben auf Aufenthaltsreicht oder Duldung nicht zuzustimmen.
Ich kann meistens die Eingaben da lassen, wo sie sind, auf dem Papier. Aber eben nicht immer. Viele Menschen tun mir unsäglich Leid.

Mein Sonntag hat immer zum Glück immer einen guten Abschluss – den Tatort. Der ist manchmal gut und manchmal nicht. Aber er gehört dazu, um den Sonntag dann doch noch wieder zu einem einzigartigen Tag zu machen, eben einem, der anders ist als alle anderen Wochentage. In jeder Hinsicht.

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