Vor dem Parteitag II

Es ist eigentlich keine besondere Woche, die bevorsteht. Es ist nur eine Woche, die doppelt stattfinden könnte. Ich bedaure, die Möglichkeiten der SciFi-Vielfalt nicht nutzen zu können.

Der Grund: Ich habe nur sieben Tage und sieben Abende zur Verfügung, um Verpflichtungen nachzukommen, eine Bürgerschaftssitzung vorzubereiten und zu absolvieren, Arbeitsbesprechungen, ein Bürgergespräch, eine Fraktionssitzung und einen Vize-Termin wahrzunehmen, zwei Geburtstage mitzufeiern, auf meinem Sofa zu sitzen, meinen Krimi weiterzulesen. Das passt einfach nicht in eine einzige Woche hinein! Ganz zu schweigen von betrieblichen Themen, die mich diese Woche erwarten.

Und so ganz nebenbei dreht unsere Parteispitze durch und schafft es nicht, uns mindestens zwei KandidatInnen zu präsentieren, die miteinander können, die wählbar sind und über die sich die Presse nicht andauernd das Maul zerreißt. Was ich mir in den letzten Tagen anhören und durchlesen musste darüber, ist extrem belastend. Und dann diese Aufrufe. Ich habe bislang keinen unterschrieben. Derzeit habe ich das Gefühl, sie polarisieren eher, statt dass sie befrieden. Verdammt, ich muss mich auf meine Rede im Parlament vorbereiten. Und eine Kollegin ist vom Rauswurf bedroht, sie plagen existentielle Sorgen, die sie mit mir besprechen möchte.

Und der SPD-Senat zieht in Hamburg eiskalt sein unsoziales Konsolidierungsprogramm durch und wir müssen uns auf die wohl härtesten Haushaltsberatungen einstellen, die wir in unserer vierjährigen Bürgerschaftszugehörigkeit erlebt haben. Das verlangt Konzentration und den Rückhalt der Partei. Stattdessen werde ich genötigt, mir Geschimpfe anzuhören über unsere bekanntesten Gesichter. Die Parteibasis ist verwirrt und stempelt aus der Auseinandersetzung um den Vorsitz auf ein Kindergartenprogramm runter nach dem Motto: Vertragt Euch! Wenn das so einfach wäre.

Uns bleibt echt nichts erspart. Nach Wahlniederlagen fangen wir nun an, uns zu zerfleischen. In zwei Wochen ist Parteitag. Bis dahin muss eine Lösung her. Es geht um die Zukunft der Linken in diesem Land. Es geht darum, ob die SPD auch künftig Druck von links erhält. Sollte sie 2013 die Bundesregierung übernehmen, droht uns ansonsten keine soziale Gerechtigkeit, sondern eine Neuauflage der Schröder-Fischer-Zeit, nur mit anderen Figuren, die Gabriel oder Steinbrück heißen.
Ich verlange, dass wir vor diesem Hintergrund Machtrangeleien beenden und uns zusammenreißen. Ost und West können von einander lernen. Dazu gehört auch, die eigenen Ziele zu überdenken und sich zurückzunehmen. Die Verkantungen könnten entspannen, wenn es bei der Frage um den Vorsitz nicht um Alles oder Nichts gehen muss. Wenn ein Endsechziger sich nach einer Krebserkrankung noch einmal anbietet, den Parteivorsitz zu übernehmen, dann ist es mir zu einfach, dies als Machtgeilheit und Eitelkeit abzutun.

Und ich finde, wer in Berlin aus einer rotroten Koalition geflogen ist, sollte sich darüber ernsthaft und selbstkritisch Gedanken machen und nicht so tun, als ob es Desaster nur in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gegeben hat. Hat eigentlich in Berlin jemand personelle Konsequenzen gezogen? Nö, alles gut. Alles läuft so weiter, wie bisher. Die anderen sind Schuld.

Also, alle mal runterfahren und selbstkritischer sein. Und bitte miteinander reden und nicht übereinander. Das wäre – glaube ich – ein wichtiger Schritt für eine Lösung.

2 comments

  1. Kersten Artus sagt:

    Andy – #1 – 22.05.2012 16:33 – (Antwort)

    Der Countdown für eine regierungsfähige LINKE läuft!

    Die LINKE hat es sich zur Aufgabe gemacht, für soziale Gerechtigkeit einzutreten und möchte hierbei als Korrektiv einer möglichen SPD Regierung fungieren. Dieses Vorhaben ist jedoch zum Scheitern verurteilt, solange die SPD (und Grüne) sich weigert, die LINKE auf Bundesebene als Koalitionspartner anzunehmen. Da bei der Bundestagswahl 2013 auch mit dem Einzug der Piraten zu rechnen ist (die unter Garantie an keiner Regierungsbildung beteiligt sein werden), ist die Wahrscheinlichkeit einer großen Koalition hoch. Dann wären wir dem Ziel, ein sozial gerechteres Deutschland zu schaffen, nicht wirklich näher gekommen!

    Von dem Parteitag sollte eine klare Richtungsbestimmung ausgehen, damit mögliche Koalitionspartner und Wähler wissen, wofür DIE LINKE steht. Und bei der Auseinandersetzung zwischen Fundamentalisten und Realos sei angemerkt, dass wir in keinem Fundament sondern in einer realen Welt leben, die immer wieder Kompromisse fordert.

    Wollen wir in einer von unseren Zielen weit entfernten Gesellschaft leben oder sind wir bereit für Zugeständnisse, um unseren Zielen näher zu kommen?

  2. Kersten Artus sagt:

    Bodo Goldmann – #2 – 27.05.2012 11:20 – (Antwort)

    Das die Probleme der Linken mit einer neuen Parteispitze gelöst werden, glaube ich nicht. Die Krise der Linken ist viel tiefgehender.
    Der Platz im politischen Leben für die Linke ist sehr klein geworden. SPD und Grüne betreiben jetzt in der Opposition wieder mehr linke Rhetorik und ziehen so Wähler ab, die Piraten nehmen Protestwähler auf, und enttäuschte Wähler bleiben zu Hause.
    Hinzu kommen die internen Probleme der Linken. In der Linken ist keine positive, nach aussen strahlende Kultur entstanden, Ost und West sind nicht zusammengewachsen. Und: die Linke hat bei ihrem ehemaligen Kernthema, der sozialen Gerechtigkeit, für die betroffenden Menschen nichts erreicht. Es besteht auch keine Hoffnung, das dies in den nächsten Jahren geschieht.
    Und mit immer radikaleren Parolen wie „…den Kapitalismus überwinden, die System- und Eigentumsfrage stellen,…Wege zum Kommunismus…” werden die vorletzten Wähler auch noch vergrault.
    Genau das glaubt uns keiner, und es wählt die Linke auch niemand wegen solcher Sprüche.
    Aber für viele Genossen im Westen ist genau dies das Wichtigste. Für die ehemaligen DKP-Genossen und andere Verbal-Radikale, die jetzt ihren Traum vom Sozialismus über die Linke fahren wollen und sich in Führungspositionen (oder in Bürgerschaftsfraktionen) durchgeboxt haben.
    Da braucht man sich nur einmal den neu gewählten Landesvorstand in Hamburg anzuschauen – “DKP reloaded”, kann man da nur sagen. Warum sind sie (bzw. seid ihr) nicht in der DKP geblieben?
    Ihr selbst seid es, die die Linke beerdigen. Weil für euch eure eigenen intellektuellen Bedürfnisse nach der richtigen „sozialistischen“ Politik wichtiger sind als der konkrete Kampf für die „Unterschicht“ im Land.
    Meiner Meinung nach wird die Linke im Westen von „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Altlinken zu Grabe getragen.

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