Shades of Grey – ein Arztroman ist schlimmer

Fünfzehn Millionen Exemplare sind von dem Roman „Shades of Grey“ in den USA verkauft worden. Auch in Deutschland sprang er mit dem ersten Tag des Verkaufs von Null auf Platz 1 der Taschenbücher. Wenn ein Buch so erfolgreich ist, kommt kein Feuilleton drum herum, darüber zu schreiben. Und es hagelte Verrisse!

Trotzdem, nein, gerade deswegen habe ich mir „Shades of Grey“ in den Urlaub mitgenommen. Wenn sich die Feuilletons aller Zeitungen so einig sind – vor allem die männlichen Kritiker – dann ist mein Interesse geweckt. An etwas hat es den Artikeln nämlich komplett gemangelt: An einer Begründung, warum das Buch so erfolgreich ist.

Worum geht es in dem Roman: Die 21-jährige Anastasia erlebt ihre erste Liebe. Christian ist schön, reich und ein Sadist. Sie haben Sex. Das ganze Buch hindurch knistert es. Die Handlung geht darum, ob Ana bereit ist, sich dem verführerischen Christian komplett unterzuordnen. Parallel geht es darum, ob Christian seine Dominanz vollends ausspielen wird. Immer wieder erleben die beiden erotische Höhepunkte, die detailreich beschrieben werden. Die Orgasmen geben sich die Klinke in die Hand.

Die Kritiker haben einerseits recht: Die sprachliche Brillanz fehlt. Die sich ständig wiederholende Adjektive machen den Text langweilig (Wobei die postkoitalen Haare anfangs noch die Phantasie wecken!). Andererseits: Die Mehrheit der Menschheit dürfte beim Sex auch nicht gerade literaturverdächtige Dialoge pflegen. Mein Lieblingssatz in dem Buch aber lautet: „Scheiße, meine Mutter!“ Redet so ein echter Sadist?

Paul Auster, New York, hat es im aktuellen Stern (30/12) ganz passend gesagt: Solche Bücher gab es immer schon … Solche Bücher werden gelesen, um der Wirklichkeit zu entkommen. Man liest sie, man vergisst sie, sie sollen unterhalten, und das ist völlig in Ordnung.

„Shades of Grey“ ist ein Schmöker, der für Frauen geschrieben ist. Die Sexszenen sind zwar durchaus geeignet, dass mancher Mann noch etwas dazu lernen könnte, ohne gleich zum Hinternversohler und Fessler mutieren zu müssen. Zwischen schnellem Rammelsex und Sadomaso-Szenarien gibt es nämlich etliche Varianten, liebe Sexpartner. Und die lesen Frauen fern ab von ihrem traurigen Alltag im Bett ganz gern. Vielleicht sind die männlichen Feuilletonisten deswegen so pikiert?

Das Buch sei antifemistisch, weil es Klischees darstelle, lautet eine weitere Kritik. Auch das kann ich nicht teilen. Ein Arztroman ist schlimmer. Anastasia konfrontiert Christian recht selbstbewusst mit ihren Ansprüchen an eine Beziehung – nicht ohne Erfolg! Dass dann noch ein Privatjet, ein geschenktes Auto und ein stets bereitstehender Diener die Handlung durchzieht – was solls. Das nehmen Millionen Frauen gerne mit, das ist genauso selten wie guter Sex im eigenen Bett.

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