Wer von Opfern spricht, sollte richtig hinsehen

Ist Strauss-Kahn nun ein Sextäter oder hat ihn ein zwielichtes Zimmermädchen reingelegt? Der ehemalige Direktor des IWF scheint rehabilitiert, denn die in den meisten Zeitungen namenlos gebliebene Frau soll als Prostituierte – oder noch schlimmer, als Gelegenheits-Hure- gearbeitet haben. Damit ist ihre Glaubwürdigkeit dermaßen erschüttert dass es fast egal ist, ob sie vom dem Franzosen vergewaltigt wurde oder nicht. Warum sollte man so einer glauben?

Und so kursieren die ersten Geschichten um das Luder, das den Präsidentschaftsanwärter zu Fall brachte: Wie sie bereits gelogen hat, als sie in die USA eingewandert ist. Dass sie Kriminelle kennt. Uiuiuiui … Und (unbewiesene) Verschwörungstheorien machen die Runde, frei verfügbar in Boulevardzeitungen und im Internet. Es ist immer das Gleiche: Wenn Fakten fehlen, reimen sich die Menschen etwas zusammen, um das Unerklärbare zu erklären. Es könnte doch sein, dass … Der sexistische Gewaltakt, der in einem Hotelzimmer in New York zwischen einem Polit-Manager und einer ungelernten Hotelangestellten und alleinerziehenden Mutter stattfand, erhält eine neue Wertigkeit.

Das Opfer dieser Geschichte(n) ist nicht Strauss-Kahn. Die Opfer sind Frauen, die vergewaltigt wurden und denen künftig einmal mehr niemand glaubt. Die Opfer sind Sexarbeiterinnen und jene Frauen, die sich aus wirtschaftlicher Not gelegentlich prostituieren. Sie haben keine Lobby. Und schon gar keine Rechte. Eine Frau, die für Geld die Beine breit macht, genießt keinen Respekt. Was machts da, dass auch die Tochter einer Parteikollegin von Strauss-Kahn – die Autorin Tristane Banon – sich nun traute, Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den 62-Jährigen zu erheben und zur Anlage zu bringen? Sie muss sich beeilen: In Frankreich verjähren Sexualdelikte nach drei Jahren.

Szenenwechsel, St. Georg, hinterm Hamburger Hauptbahnhof: Die Sexarbeiterinnen werden derzeit massiv unter Druck gesetzt. Der SPD-Bezirksamtsleiter vertreibt gemeinsam mit der Polizei und einer Anwohner-Inititative die Frauen vom Straßenstrich. Sie sollen künftig an einer Durchfahrtsstraße in Rothenburgsort anschaffen gehen. Damit der für teures Geld neu gestaltete Hansa-Platz schön sauber bleibt, das Bürgertum in Ruhe flanieren kann und die Mieten in St. Georg weiter steigen können. Unter dem Motto Recht auf Straße finden am Sonnabend, den 9. Juli, Kundgebungen gegen die Vertreibung der Frauen aus St. Georg statt. Es wäre wichtig, ein Zeichen zu setzen, und sich zu solidarisieren.

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