Jetzt ist er ein Held. Ein kompromissloser, konsequenter alter Mann, der den Fernsehgrößen einmal ordentlich die Leviten gelesen hat – Live! Marcel Reich-Ranicki (88), bekannt als grantelnder „Literaturpapst“, hat bei der Verleihung des Fernsehpreises im ZDF seinen Ehrenpreis abgelehnt. Heute schafft er es vereinzelt damit auf die Titel der Zeitungen, ins Feulletion diverser Blätter oder auf die Medienseiten. Radiosender machten Umfragen: „Hat Reich-Ranicki Recht?“ Und alle, alle stimmten ihm mehr oder weniger zu: Das heutige Fernsehen ist ja sooo schlecht. Ich finde seine Kritik ist eine Narretei: Er hat sich jahrelang dem Fernsehen im Literarischen Quartett elitär in Szene gesetzt. Gnadenlos hat er Debütromane öffentlich-medial zerrissen, sich vor allem über Schriftstellerinnen abfällig geäußert, und intolerant bis ins Letzte Bücher auseinander genommen. Zum Lesen animieren? Das war ihm scheinbar nicht wichtig. Welchen Auftrag hat er im Fernsehen erfüllt? Mit Sicherheit keinen Bildungsauftrag. Außer dass wir lernten, dass alte Männer ätzend sein können und immer alles besser wissen.
Fast möchte ich glauben, dass ZDF hat auch seinen Auftritt zur Preisverleihung inszeniert – immerhin hat sie ihn ungeschnitten gesendet – die Sendung wurde ja vorher aufgezeichnet. Nun haben die Medien wieder einen, an dem sie sich aufgeilen können, der ihnen Seiten oder Sendungsminuten füllt. Verändern an dem Niveau des Fernsehens wird dies nichts, auch nicht an den Einschaltzeiten in deutschen Haushalten: über vier Stunden sind es im Schnitt jeden Tag. Bei dem Pensum ist es fast schon egal, was gesendet wird. Problematisch ist, dass das Fernsehen ein billiger Zeitvertreib für Erwerbslose und Einsame ist. Die Ursachen hierfür kritisiert Reich-Ranicki aber nicht.
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