Gequälter Unwitz. Eine feministische Medienkritik zum 8. März

BILD, Mopo, Abendblatt, Taz, Süddeutsche – wie haben sie den internationalen Frauentag berücksichtigt? Wie haben sich die Redaktionen Gedanken gemacht, wie sie ihrer Verantwortung nachkommen, Leitfunktion für die Meinungsbildung zu haben?

Wie wurden Frauenthemen aufbereitet und umgesetzt? Wie tief wurde recherchiert? Ich habe mich auf die Suche begeben und diese fünf Zeitungen gründlich angeschaut. Hier mein Protokoll.

Hamburger Morgenpost:

Die Mopo macht mit Silvia van der Vaart auf: „Fiese Hetze gegen Sylvie.“ Ein Titel, der jeden Tag so hätte stehen können.

Das Thema des Tages, auf den Seiten 2/3, ist die „Frau, das unbekannte Wesen“. Eine weder originelle, noch zutreffende Zeile. Wer will das lesen – 14-jährige Jungs, die sich bislang nicht trauten, ein Mädchen anzusprechen? Der Text unterteilt sich in 25 Stichworte, die sich immerhin zum Teil mit den Hauptthemen der Frauenbewegung befassen: Teilzeitfalle, Freizeitknappheit, Berufswünsche, Frauengesundheit, Sexualität, Gewalt in der Ehe, Kinderlosigkeit von Frauen in Führungspositionen.

Die Seiten 6/7 befassen sich mit den Gehältern der „Chefs öffentlicher Unternehmen“. Zum Glück sind auch Chefinnen dabei, aber nur wenige. Frauenspezifisch ist der Bericht nicht geschrieben.

Auf Seite 13 steht eine kleine Meldung, dass „Dragqueen Olivia Jones ihre Muttergefühle“ auslebt. Naja.

Auf Seite 21 finden wir einen Bericht über „Haji-Cola“, deren Erfinder mit einem „Kopftuchmädchen“ provokant Werbung betreibt. Das Mädchen ist allerdings eine erwachsene, stark geschminkte Frau. Der Text erinnert eher an eine (kostenlose) Anzeige.

Seite 23 widmet sich der kanadischen Sängerin Nelly Furtado – ohne Bezug auf den 8. März.

Die Seiten 30/31 machen mit dem Thema Pflege als Ratgeberstück auf. Eigentlich eine gute Idee für den 8. März, und auch die abgebildeten Personen sind eine Pflegerin und eine pflegebedürftige Frau. Leider lese ich ein Stück, das auf frauenspezifische Belange in der Pflege nicht eingeht.

Auf Seite 34 finden wir dann den frauenfeindlichen Klassiker: Laszive Lady rekelt sich im Coupé. Upps, erst auf den zweiten Blick merkt man, dass es sich um eine (kostenpflichtige) Anzeige handelt.

Der Sportteil ist fast ausschließlich mit Männern bebildert, erst auf der letzten Seite kickt eine Frau zum Thema „Taekwondo“ in der Optik. Das „Cam-Girl des Tages“ knutscht wie immer auf den Treffpunkt-Seiten im Bikinioberteil in die Kamera. Der Rest der Mopo widmet sich nur noch Männern.

Fazit: Die Redaktion hat den 8. März offenbar verpennt oder – was schlimmer ist – ihn nicht wichtig wahrgenommen.

BILD, Hamburg-Ausgabe:

Immerhin – „50 Frauen, von denen wir noch viel hören werden“ finde ich als kleine Überschrift auf der Titelseite. Auch der „Gewinner“ des Tages ist eine Frau: Viviane Reding, EU-Kommssarin, die sich für die Quote einsetzt. Die alles dominierende Hauptüberschrift „RTL kippt Sex-Sendung“ dürfte allerdings die Interessen der BILD-Lesenden sofort abgelenkt haben.

Auf Seite 3 steht eine Minimeldung über weibliches Fahrverhalten.

Auf Seite 4 stehen die Gehälter der „Hamburg-Manager“ – ebenfalls wie in der Mopo ohne Geschlechterbezug.

Auf Seite 5 „hauen sich die Promis“, darunter weibliche B-Promis. Das hätte jeden anderen Tag auch in dem Springer-Blatt stehen können.

Auf Seite 9 wird im typischen Boulevard-Stil über eine Frau berichtet, die durch den ehemaligen Partner ihrer Mutter fast erschossen worden wäre. Ein für den Frauentag geeignetes und wichtiges Thema – aber nicht in dieser flachen Machart!

Auf Seite 12 dann die 50 Frauen vom Titel – allesamt jung, hübsch, zwei der Frauen werden in knappen Dessous gezeigt. Langweilige Klischee-Berichterstattung.

Auto und Sport richten sich wie in der Mopo nur an Männer.

Zum Abschluss auf der letzten Seite muss dann Uschis Glas` Tochter herhalten, immerhin bekleidet.

Fazit: Die Redaktion hat die durchaus respektablen PR-Gags der letzten Jahre zum 8. März – eine Ausgabe, die nur von Frauen gemacht wurde; eine Ausgabe, die nur von Männern für Frauen gemacht wurde und die Verbannung der Nackten von Seite 1 – nicht weiterentwickelt. Stillstand ist aber Rückschritt, meine Herren Kollegen!

Hamburger Abendblatt:

Über dem Titelfoto steht: „Frauentag!?“ Das gefällt mir. Für die Seiten 6, 9, 14, 23 und 26 werden Berichte zum Frauentag angekündigt. Mal sehen, was sie thematisieren.

Leider werde ich schon auf Seite 6 enttäuscht: Eine Reportage über eine Krankenschwester in Afghanistan. Frauenporträts sind gut und schön, und zum Glück keine Ausnahme mehr in unseren Zeitungen. Der Text ist engagiert. Ein guter und typischer Alexander Schuller. Aber ich erinnere mich, dass die Kriegsbefürworter den Afghanistan-Einsatz immer wieder mit der Befreiung von Mädchen gerechtfertigt haben und das sie Dank deutscher Soldaten jetzt wieder zur Schule gehen können. Welche Folgen Krieg insbesondere für Frauen hat, bleibt leider unerwähnt.

Seite 7 (!) Gar nicht angekündigt, aber trotzdem wichtig zu erwähnen: „Platz vor Jugendherberge erinnert an engagierte Politikerin“. Worum geht’s? Paula Karpinski bekommt endlich eine öffentliche Würdigung. Im Rathaus hängt bereits im Senatsgehege ein Bild von ihr. Dennoch wurde es allerhöchste Zeit, einen öffentlichen Platz nach der ersten Senatorin, die Hamburg überhaupt je hatte, zu benennen. Nur: Das Abendblatt umschreibt diese wesentliche Info hölzern mit: „wurde 1946 als erste Frau in ein Landeskabinett berufen.“ Ich schäme mich fremd. Über Paula Karpinski gäbe es mehr zu sagen. Aber der Bericht war ja auch nicht als Teil der Frauentagsberichterstattung auf dem Titel angekündigt …

Seite 8 – ebenfalls nicht auf dem Titel angekündigt, dennoch ist die Spaltenmeldung eine Erwähnung wert: Eine Nachberichterstattung über die Managergehälter im öffentlichen Dienst, mit der das Abendblatt am Tag davor groß aufmachte. Auch ich werde zitiert: „Warum verdient die Chefin der Vereinigung Kindertagesstätten 87.000 Euro, der Messechef aber 185.000 Euro? Ich finde Kindererziehung wichtiger als Messen.“ Das reduziert zwar meine Gesamtaussage zu dem Thema, aber immerhin berücksichtigt Autor Andreas Dey den Geschlechterbezug.

Seite 9: Eine Reportage über drei Hamburgerinnen, die das Bundesverdienstkreuz erhalten haben. Das ist lobenswert – unabhängig, wie man zu Orden, und gerade zu diesem, steht. Was fehlt? Auch Heidemarie Grobe, Leiterin der Städtegruppe von Terres des Femmes, erhielt diese Auszeichnung am 7. März. Der Text wurde wohl mit sehr heißer Nadel geschrieben, tiefere Kenntnisse über die Frauenszene Hamburgs hat die Autorin offenbar nicht. Schade.

Auf Seite 10 lese ich einen Bericht über ein Stipendium, das eine neunjährige Hamburgerin türkischer Herkunft bekommt. Das hätte auch in die Ankündigung gehört, finde ich. Mädchenförderung ist ein wichtiges Thema für den 8. März.

Seite 14 widmet sich frauenfreien Ereignissen – da hat sich die Redaktion vermutlich selbst amüsiert: Am Bremer Schaffermahl nehmen nur Männer teil, ebenso an der Bremer Eiswette. Dass Bremen trotz dieser Macker-Traditionen alles andere als frauenfeindlich ist, wird auch erwähnt: Der Stadtstaat besitzt eine Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichstellung der Frau. Das ist eine unabhängige Landesbehörde, die auch für Hamburg von mir und anderen gefordert wurde.

Seite 23 befasst sich mit Arbeit, das gehört sich auch so im Wirtschaftsteil. „Allein unter Frauen“ Thema: Mann im Frauenberuf. Eine interessante Reportage, viele Fakten, richtige Analyse. Chapeau!

Seite 26 das Gegenstück, ebenfalls noch Wirtschaftsteil: „Allein unter Männern“: über eine „Karrierefrau“ in einer Landesbank. Leider wird der Begriff Karrierefrau nicht kritisch hinterfragt. Aber sonst: Ein gutes Porträt über die Aktivitäten des eher konservativen Zonta-Clubs, der auch Mitglied im Landesfrauenrat ist. Passt ins Abendblatt.

Auf Seite 27 ist ein vierspaltiger Bericht über die erste Frau zu lesen, die Live-Spiele in der Männerfußball-Bundesliga kommentierte. Warum darauf nicht auf dem Titel hingewiesen wurde, verstehe ich nicht. Der Text ist gut. Passt gut zum 8. März.

Auf Seite 30 findet ich den Gemischtwarenberichterstattungsladen einer klassischen Zeitung „Aus aller Welt“: „Russlands Männer überraschen ihre Frauen mit Geschenken. Auch dieses Ressort hat sich also Gedanken gemacht. Nett zu lesen.

Fazit: Eine ordentliche Präsentation des Internationalen Frauentages.

Wenn nicht … wenn nicht noch achtseitige Anzeigenbeilage dieser Zeitungsausgabe beigelegen hätte. Überschrift: „Hätten Frauen doch schon früher mehr Zeit gehabt.“ Ich schlage auf und sehe einen „Thermomix“, der zwölf (Haushalts-)Geräte auf einmal ersetzen soll. Dazu in großer Optik eine weibliche Napoleon. Dann folgen ein Staubsauger und ein Saugroboter. Auf der letzten Seite gratuliert „Vorwerk“ zum Weltfrauentag. Autsch.

Taz:

Das Beste an dieser Ausgabe ist natürlich unsere Fraktionsanzeige im Hamburgteil: „Niedriglöhne abschaffen, für Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Die Taz präsentiert den internationalen Frauentag traditionell mit acht Spezialseiten. Auf dem Titel allerdings widmet sie sich dem „Konsumterror: Shoppen bis zum Abheben.“ Im Editorial steht, worum es auf den Spezialseiten geht: Um die unsichtbaren Frauen. Eine gute Idee. das wurde auch über Twitter beworben. Aber acht ganzseitige Porträts – viel zu magazinig! Immerhin widmen sie sich sehr verschiedenen Facetten von Frauenwelten.

Auf Seite 15, Ressort „Meinung + Diskussion“ Der erste Frauen-Comic des Tages. Danke! Ebenfalls auf dieser Seite: Lars Niggemeier vom DGB schreibt in der taz über die Notwendigkeit eines sozialen Arbeitsmarktes und schafft es nicht, Frauen zu erwähnen. Damit ist der Text – zumindest bei mir – komplett durchgefallen!

Seite 16 nimmt sich das Otto-Versand-Mädchen-T-Shirt „In Mathe bin ich Deko“ vor. Der Protest war ja auch erfolgreich, das Kleidungsstück ist nicht mehr bestellbar.

Seite 18, Medien, widmet sich den weiblichen Rollenklischees im Fernsehen. „Entweder Tussi oder Überfrau“ – Das gefällt mir.

Seite 19, Ressort Sport, porträtiert eine Alpinistin – sehr schönes Lesestück, wenn auch schon wieder als Porträt. Ein Interview mit einer Tennisspielerin macht die Seite für einen 8. März rund.

Auf Seite 20 macht sich die taz über eine Meldung der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe lustig. Diese titelte „Frauen auf dem Vormarsch“. Schön, wieder was zum Lachen!

Die taz Nord setzt die frauenspezifische Berichterstattung fort mit einem Porträt über die künftige Intendantin des Schauspielhauses fort und drei weiteren Porträts. Das ist mir endgültig zuviel. Der Journalismus hat mehr zu bieten.

Fazit: Sehr engagiert, aber zu monoton in der Darstellungsform.

Süddeutsche Zeitung:

Das beigelegte Magazin von Freitag ist ein „Frauenheft“ – das lese ich jedes Jahr immer wieder gern, es ist auch diesmal ein Lesegenuss. Allen voran die Reportage über die Taucherinnen in Japan und das Interview mit Frauen, deren Väter durch die NSU ermordet wurden.

Die Zeitung selbst bietet eine klassische Berichterstattung. Gauck über Sexismus, okay. Im Gemischtwarenberichterstattungsladen einer klassischen Zeitung „Panorama“ dann ein Lesestück über das Otto-Versand-T-Shirt, von Titus Arnu geschrieben, der einen keineswegs humorvollen Bogen zum Engagement zur weiblichen Erinnerungskultur von Ritas Bake aus Hamburg schlägt. Derartige Mannesseufzer sind am 8. März wirklich überflüssig. Überschrift: „Frauenversteher“. Wen meint er? Gequälter Unwitz.

Im Wirtschaftsteil auf Seite 19 ist ein eher klassischer Bericht über die Gehältersituation von Frauen zu lesen. Wobei gesagt werden muss: Die Süddeutsche zeichnet sich durchaus dadurch aus, dass sie in ihrem Wirtschaftsteil viel über Frauen in der Wirtschaft berichtet. Der Text dieser Ausgabe zu dem Thema ist informativ und aufhebenswert. Auf der gleichen Seite dann nochmal das Otto-Versand-T-Shirt – die Autorin fasst ihren Bericht darüber sachlich und fundiert zusammen – Hoffentlich hat das Herr Arnu gelesen?

Fazit: Einzelne Lesestücke sind herausragend, aber die Süddeutsche könnte es besser. Die Redaktion hat kein Gesamtkonzept zum 8. März erdacht. Vertan, vertan.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert