Junge Welt und die Pressefreiheit

Wie provokant darf ein Titelbild sein? Darf sich eine Zeitung für „28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe“ bedanken? Die Proteste, die die Zeitung Junge Welt seit dem 13. August 2011 erfährt, ziehen sich quer durch alle „Schichten“ der Linken.
In Hohenschönhausen befand sich die Untersuchungshaftanstalt der DDR-Staatssicherheit, umgangssprachlich: der Stasi-Knast. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz. Der Westdeutsche Hubertus Knabe ist Direktor der Gedenkstätte, die sich in den Räumlichkeiten befindet. Seine Eltern stammen aus der DDR, sein Vater gilt als Mitbegründer der Grünen. Er selbst war einige Zeit lang grüner Pressesprecher in Bremen. Der 52-Jährige Bundesverdienstkreuzträger wird nicht müde, auf personelle, programmatische und finanzielle Kontinuitäten zwischen SED, PDS und Die Linke hinzuweisen. Er vergleicht entgegen aller politischen Vernunft und Seriösität die Nazi-Diktatur mit der DDR-Regierung und schafft es kaum, sich einmal nicht polemisch auszudrücken.

Rechtfertigt das unwissenschaftliche und antikommunistische Agieren Knabes die Zeile: „Danke für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe“? Die Dialektik lehrt: Wäre Hohenschönhausen heute ohne Hubertus Knabe, könnte die Aufarbeitung und die Erinnerung an die Methoden der Stasi vermutlich besser erfolgen. Wer den Faschismus und den Massenmörder Hitler relativiert, macht die Aufarbeitung des damit verglichenen anderen Unrechts nur schwer bis unmöglich. Damit werden zugleich die Massenmorde an Jüdinnen und Juden, die Morde an Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuellen, Schwerbehinderten verharmlost. Andererseits: Knabe ist für Hohenschönhausen nicht verantwortlich. Und deswegen ist der Satz in Junge Welt keine Provokation, sondern eine unzulässige, verstörende und geschichtsverklitternde Präsentation.

Ist es der Auftrag der Presse, sich derart zu positionieren? Junge Welt ist ein Presseerzeugnis und unterliegt damit dem Schutz des Grundgesetzes, der durch Artikel 5 garantiert wird. Sie genießt – wie BILD, FAZ, Freizeit-Woche und Men’s Health staatliche Subventionen – nämlich einen verminderten Mehrwertsteuersatz. Wer jetzt skandalisiert, dass die Proteste gegen Junge Welt ein Angriff auf die Pressefreiheit seien, irrt daher, denn die finanziellen Privilegien und der Schutz der Meinungsfreiheit bleiben dem Blatt erhalten. Die Redaktion von Junge Welt muss sich vielmehr fragen, ob sie ihre Rolle noch verantwortungsbewusst ausführt – oder ob sie nicht vielmehr ihre Funktion als Medium verkennt. Sicherlich hat sie mit dem Titelbild anlässlich des 50. Jahrestages des Mauerbaus keine finanziellen Ziele verfolgt – anders als die Blätter der Medienmogule, deren vorderstes Ziel schon lange nicht mehr darin besteht, Pressefreiheit zu leben, sondern Auflage und Kasse zu machen.

Die Redaktion der Jungen Welt hat jedoch schon vor langem eine großen Fehler begangen und den Weg des Meinungsjournalismus beschritten. Sie erdreistet sich, Sprachrohr und Wegweiser zu sein. Das Titelbild vom 13. August ist nur ein Gipfel dieser Fehlentwicklung. Professioneller Journalismus verantwortet und moderiert Meinungsbildung, aber betreibt sie nicht selbst.

Eine verantwortungsbewusste Redaktion würde nun mit sich kritisch in Klausur gehen – anstatt eitel zu behaupten, man würde „es“ immer wieder so machen. Es ist damit zu rechnen, dass nicht nur die Anzeigenerlöse der Zeitung drastisch sinken, sondern auch Genossenschaftsanteile abgegeben und Abos gekündigt werden. Scheitert Junge Welt, wäre die Pressevielfalt in Deutschland um ein Blatt ärmer. Damit wäre der linken Bewegung nicht gedient. Würde Junge Welt sich an ihren Auftrag und ihre Rolle erinnern und sich zurückbesinnen, würde sich die Redaktion zunächst entschuldigen. Und sich dann auf den Weg machen, (wieder) das zu sein, was sie eigentlich möchte: Eine Zeitung.

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