Rede auf dem Parteitag

Liebe Genossen, liebe Genossinnen, wir haben uns in den letzten Monaten intensiv mit dem Arbeitsbegriff beschäftigt. Ich glaube, mit nichts anderem als durch Arbeit lässt sich der Kapitalismus am deutlichsten fühlen. Zugleich herrschen hier aber auch große Unterschiede in der Interpretation. Mich wundert das wenig: Wir haben aufgrund der Befristungen, der Zwangsteilzeit, der Massenarbeitslosigkeit, der Frührenten, der Leiharbeit, kaum noch gemeinsame Identifikationslinien zur Arbeit. Und für Hartz-IV-EmpfängerInnen sind die Argen und Jobcenter die Feinde und nicht mehr die Unternehmen, die ihnen die Arbeitsplätze weggenommen haben oder ihnen vorenthalten.

Wenn wir in unserem Parteiprogramm schreiben, dass wir uns

auf die politischen Theorien der Frauenbewegung und des Feminismus, die die Kritik an den Herrschaftsverhältnissen, die Frauen unterdrücken und benachteiligen, in den Mittelpunkt stellen und weltweit die Durchsetzung der Menschenrechte für die Frauen und die Abschaffung jedweder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts fordern

dann ist das für mich, resultierend aus meinen Erfahrungen aus über 30 Jahren Befreiungskampf gegen Männerherrschaft, die bedeutendste Aussage. Wir sind uns den Traditionen des Klassenfeminismus ja bewusst:

Geschlechterverhältnisse sind Bestandteil der Produktionsverhältnisse

das steht ja im Entwurf.
Es erfüllt mich mit Freude, dass DIE LINKE so klar meinen Lebenskampf formuliert. Und es ist auch wichtig, dass uns Frauen damit keine Illusionen gemacht werden, dass wir uns etwa mit einer Quotenregelung in Aufsichtsräten oder mit einer Betriebsvereinbarung zur Vereinbarung von Familie und Beruf schon zurücklehnen können.

Emanzipation ist ein fortwährender Kampf, sich als Frau, als soziales Geschlecht, zu behaupten – und gleichzeitig gemeinsam mit dem unterdrückten Mann für eine neue, eine andere Gesellschaft zu kämpfen.

Ich spreche mich deswegen auch dagegen aus, dass dieses Parteiprogramm einen Anhang erhält, wie dies der Antrag G2 vorsieht. Ich finde diesen Text, indem es ja viel um Zeit geht, nicht hilfreich. Wir verkürzen wir denn die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, liebe Genossen und Genossinnen? Wer soll das durchsetzen? Wie gewinnen wir die Menschen für eine Forderung, die sich Mitte der 1980er Jahre mit der 35-Stunden-Woche nur mit massenhaften, wochenlangen Streiks realisierte? Das müsste doch wenigstens da stehen. Wie organisieren wir Frauen, sich für ihre Rechte einzusetzen? Das sind doch die brennenden Fragen dieser Zeit.

Ich finde, dass der verstärkte Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt ein großer emanzipatorischer Fortschritt ist. Es ist das Spannungsverhältnis zwischen Arbeit und Emanzipation, welches das nötige kollektive Bewusstsein schaffen kann, um für Unabhängigkeit zu kämpfen.

Es ist aus meiner Sicht die Klassenperspektive, die erforderlich ist, um sich zu befreien. Und wer vorgestern die Kolleginnen von „pflegen & wohnen“, die Altenpflegerinnen, in Hamburg gesehen hat, wie sie auf der Straße demonstrierten, einen Warnstreik durchgeführt haben für mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen, dann vermittelt das einen Eindruck von dem, was uns Frauen noch bevorsteht, um uns zu befreien, um dieses System zu überwinden.

Ein Kommentar

  1. Kersten Artus sagt:

    Johanna Klages – #1 – 30.10.2011 17:09 – (Antwort)

    Liebe Kersten, beides Rede auf dem Parteitag und Bericht finde ich hervorragend. Du kannst einfach gut schreiben und das nicht nur, weil Du von Beruf Journalistin bist. Ich bin stolz auf Dich! Liebe Grüße, Johanna

Schreibe einen Kommentar zu Kersten Artus Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert