Emma, Leon und Lea

Vorlesen ist schön. Der Raum füllt sich mit Worten, Ohren sind auf Empfang. Die Stimme hebt und senkt sich, wird mal laut, mal füstert sie, mal ruft sie, mal macht sie eine Pause.
Ich habe am Freitag zwei Kindergruppen vorgelesen. Einer zweiten Klasse mit 26 Kindern in einer katholischen Schule und einer Gruppe mit 14 Kindern aus Altona-Nord im Frauenzentrum FLAKS. Morgens um acht war die Grundschulklasse schon erstaunlich wach – im Gegensatz zu mir. 40 Minuten haben sie mit zugehört. „Tor für Lea und Leon“ hieß das Buch. Eine mitreißende Geschichte über vorpubertäre Jungs und Mädchen beim Fußball. Die GrundschülerInnen sind begeistert mitgegangen – sprangen immer wieder von ihren Stühlen, kickten in die Luft, stellten Momentschilderungen nach. Zum Abschied schüttelten einige meiner kleinen Puppe Marlene, die auf meinem Schoß gesessen hatte, die Hand.
Im FLAKS erwartet mich eine andere Szene: Kuschelkissen auf dem Boden, Kinder auf Socken, Mütter mit Kopftüchern auf den Stühlen sitzend. Diese Kinder, berichtet mir vorher die Sozialarbeiterin, haben kaum Bücher zu Hause. Nintendo ist wichtiger. Ein Junge, vielleicht 9, warnt mich: „Wenn ich das Buch schon kenne, gehe ich.“ Er ist geblieben. Eine knappe Stunde lese ich „Emma und der Blaue Dschinn“ vor. Es ist ein Märchen, das ein Mädchen mit ihrem Hund in die Wüste führt, wo es fliegende Teppiche, Kalifen und eine blauhäutige Großmutter gibt.
Die Kinder nehmen mir irgendwann Marlene vom Schoß und schmusen mit ihr. Ich schaffe das Buch nicht ganz durchzulesen, aber um das Ende zu hören, kommen die Kinder bestimmt noch einmal wieder. Und ich bestimmt auch. Vorlesen ist Zärtlichkeit.

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