BILD in Themennot?

Das Boulevardblatt mit den sinkenden Auflagen scheint in echten Nöten zu sein. Gehen der Redaktion die Themen aus? Am 2. März finde ich einen Bericht, der übertitelt ist mit „Reise nach Jerusalem“. Darüber sehe ich die leere Präsidentenbank des Plenarsaals. Dann lese ich noch eine weitere fettere Schrift. Die sagt mir: „Präsidium leidet unter Stuhlmangel“.

BILDs Investigativreporter Olaf Schiel lüftet das Geheimnis auf 53 Zeilen: Das Präsidium besteht in der 20. Wahlperiode aus acht Personen, aber nur sieben Stühle stehen da. Der Grund ist, dass jede Fraktion eine/n VizepräsidentIn bekommt. Plus zwei Schriftführer und die Präsidentin selbst macht das acht. Fünf Fraktionen in der Bürgerschaft, das gabs zuletzt vor 40 Jahren. Letzteres erklärt BILD nicht, wäre vielleicht auch zuviel Hintergrund. Stattdessen gibts angeblich Stuhlmangel. Nur stimmt das nicht. Einen weiteren Stuhl gäbe es, aber dann wäre es wirklich eng geworden. Wir hatten es ausprobiert. Es war zum Fingerquetschen.

Es ist nun seit einem Jahr so, dass wir maximal nur zu siebt oben sitzen. Also eine ziemliche Kamelle. Dabei hätte es BILD längst auffallen müssen, immerhin sitzt die Presse vis-á-vis zum Präsidium. Und vor wenigen Wochen fotografierte ein BILD-Reporter stundenlang den Plenarsaal und die Abgeordneten, um unparlamentarisches Verhalten nachzuweisen. Was mehr schlecht als recht auch gelang. Aber lieber werden Süßigkeiten, Werbeprospekte und schriftliche Unterlagen auf den Pulten abgelichtet als einmal auf der Chef-Tribüne nachzuzählen. Vielleicht, weil BILD die Linksfraktion immer wegdenkt? Wer auf dem linken Auge blind ist, dem können derartige Fehler unterlaufen …

Dass BILD ein unpassendes Synonym verwendet, würde übrigens in jeder Journalistenschule aufstoßen: Chef-Tribüne für Präsidium. Eine weitere Schlampigkeit fällt auf: Der zitierte FDP-Abgeordnete bekommt keine Altersangabe hinter seinem Namen, die Präsidentin schon. Also, Platz wäre noch für vier Zeichen, (53), gewesen.

Hätte sich BILD mit der Geschichte – da sie sowieso nicht aktuell ist – noch etwas Zeit gelassen, wäre mehr rauszuholen gewesen. Zum Beispiel hätte das Blatt schreiben können dass wir zu Beginn der Wahlperiode im Präsidium überlegt hatten, die Stühle durch einen Tischler verkleinern zu lassen, davon aber natürlich umgehend wegen der Kosten abgesehen haben. Und vielleicht auch wegen der vagen Hoffnung, dass die FDP bei der nächsten Wahl wieder dahin kommt, wo sie vor 2011 gewesen ist. Das ist bei aktuell zwei Prozent laut Umfragen wahrscheinlich.

Doch so spekulativ wollte in der Redaktion wohl niemand sein. Oder passt es nicht in die Diktion, so zu tun, als ob die FDP die Super-Opposition ist? Das ist die Dauer-Kamelle des Springer-Blatts.

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