Nieten trotz Nadelstreifen

Zehn gemeinsame Minuten. Ich sitze in der U-Bahn. Neben mir ein etwa 30-Jähriger, in sein Smartphone versunken. Es ist Montagmorgen. Etwas ist anders heute. Ich schaue den Mann an, weil mich etwas an ihm stört: Er kaut – gelinde gesagt intensiv – an einem seiner Finger herum. Offenbar will er einen Nietnagel loswerden. Sein Blick bleibt dabei auf das Display seines Smartphones gerichtet.

In mir regt sich mein konservatives Ich: Muss der das in der Öffentlichkeit machen? Mein Fürsorge-Ich antwortet umgehend: Du kennst das doch, wenn so ein Zippel nervt, dann muss er umgehend weg. Mein Verstandes-Ich meldet sich: Aber mit den Zähnen abziehen, macht alles nur schlimmer, das Nagelbett könnte einreißen. Mein Ego-Ich sagt: Der nervt mit dem Fingergenuckel.

Ich schaue mir den gesamten Menschen an: Einen dunklen Mantel hat er an, geputzte Schuhe, eine graue Nadelstreifenhose. Ist er auf dem Weg zur Arbeit? Hat er ein Vorstellungsgespräch? Ich schaue mir die Hände an: Alle Nägel sind abgekaut. Es sind die Kuppen eines Kindes.

Mein journalistisches Ich sagt: Die Geschichte, die hinter dem Typ mit den schicken Klamotten steckt und seinem Nägelkauen, die könnte vielleicht erzählt werden.
Rödingsmarkt steigt er aus. Ich beschließe, diesen Blog-Beitrag zu schreiben. Und mich künftig nicht mehr ablenken zu lassen, wenn ein Nadelstreifenhosenträger morgens in der U-Bahn neben mir sitzt und auf seinen Fingern herumkaut. Es gibt genug andere Geschichten, die erzählt werden sollten.

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