Begegnungen

Wir sitzen am Tisch auf den Plätzen am Gang. Neben uns eine Frau mit ihrer etwa acht Jahre alten Enkelin. Auf der anderen Seite vom Gang eine vierköpfige Familie. Die Großmutter redet ohne Unterlass auf die Kleine ein. Ob sie einen Apfel will, ob sie ein Brot will, ob sie schlafen will, ob sie im Zug spazieren gehen will, dass sie nichts runterfallen lassen soll. Auf die Fragen des Mädchens reagiert sie hingegen barsch: Sie seien da, wenn sie da sind. Bis Bayern sei es noch weit, sieben Stunden Fahrt. Wie spät es sei? Wenn sie ihre Armbanduhr nicht mit habe, sei sie selbst Schuld, wenn sie jetzt nicht aufhöre, zu fragen, müsste sie nächstes Mal fliegen.

Ich setze meine Kopfhörer auf und schalte die Musik ein. Von Hamburg bis nach Würzburg fahren wir dreieinhalb Stunden. Der Akku dürfte so lange halten.

Ständig ist die Frau in ihrer Tasche am Wühlen, kramt Essen heraus, sucht ein Spiel heraus, bringt eine Rätselzeitschrift hervor, holt die BILD raus. Das Mädchen schläft ein. Es hat die Füße bei ihrer Oma auf den Sitz gelegt. Die weckt das Kind wieder auf: Es muss eine Jacke unter den Kopf legen, damit es „keinen steifen Hals“ kriegt.
Die Familie neben uns isst unentwegt. Geschnittenes Gemüse, geschmierte Stullen. Die beiden Kinder haben kleine elektronische Spielekonsolen. Die piepen, ich höre es zwischen den Musikstücken.

Warum habe ich nicht erste Klasse gebucht? Hannover, Göttingen, Kassel, Fulda … Oma redet, Spiele piepen.
Mit einem Mal schauen mich zwei dunkle Augen an: Die Familie hat einen kleinen Hund dabei, der ruhig da sitzt, mal auf dem einen Schoß, dann auf dem anderen. Ich würde ihn auch gern mal nehmen.

Die schöne Prosa der Texte von Rosenstolz und der stille Hund stimmen mich friedlich – Berge, Tunnel, dem Frühling entgegen.

Das Kind erträgt die penetrante Fürsorge gelassen. Meine Oma hat sich auch zu viel um mich gekümmert, erinnere ich mich. Mich hatte es auch nie gestört. Vielleicht andere.

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