Auf der Mailingliste meines Bezirks geht es unterschiedlich niveauvoll zu. Es wird informiert, gelästert und geschimpft. Eben eine typische Partei-Mailingliste. Dieser Tage droht das erste Mitglied über die Liste mit Austritt, sollte Dietmar Bartsch zum Vorsitzenden der Linken gewählt werden. Ein weiteres Mitglied schloss sich an. Ein drittes überlegt noch. Die Aufregung vor dem Göttinger Parteitag ist groß – und auch die Unsicherheit. Was wird aus der Linken?
Die Führungskrise der Linken ist nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen voll ausgebrochen. Oskar oder Dietmar heißen die Vorsitzendenalternativen und wegen der Quote muss noch irgend eine Frau dazu. Meine Fraktionsvorsitzende schlägt vor, Lafontaine und Bartsch zu Vorsitzenden zu wählen, Gregor Gysi schlägt Lafontaine zum Parteivorsitzenden vor und Bartsch zum Bundesgeschäftsführer. Eine/r meiner LandessprecherInnen soll gesagt haben, dass weder Lafontaine noch Bartsch kandidieren sollten. Die Landesvorsitzenden der Ost-Bundesländer halten an der Bartsch-Variante fest. Die ersten Entnervten wollen gar keinen Mann mehr an der Spitze sehen. Also alles recht bunt.
Man muss sagen: Noch kandidiert Lafontaine ja gar nicht, denn er will nicht gegen Bartsch antreten. Manch einer legt ihm das als Schwäche aus. Nicht gegen jemanden zu kandidieren, hat aber auch und vor allem mit Respekt zu tun. Und womöglich mit Taktik. Sicherlich aber nicht mit Feigheit.
Dass viele so nervös sind, FunktionärInnen wie einfache Mitglieder, hat damit zu tun, dass mit der Wahl auf dem Göttinger Parteitag am 2. Juni Wegentscheidungen verbunden sind.
Oskar Lafontaine symbolisiert die Protestkultur der Westlinken, den Abschied der SPD von sozialer Gerechtigkeit und den gesellschaftlichen Aufbruch in den alten Bundesländern für ein neues Wahlbündnis. Der Zusammenschluss der WASG mit der PDS vereinigte linke Kräfte in Ost und West gegen den Neoliberalismus, der Arm und Reich weiter spaltet und deutsche Soldaten in ferne Kriege schickt. Welcher Analyse liegt die Unterstützung für Dietmar Bartsch zugrunde? Für was steht er? Für rotrote Regierungsbündnisse? Das wäre zu kurz gegriffen. Ich finde es interessanter, zu sehen, wer hinter Bartsch steht – und für was.
Ich hatte ein Schlüsselerlebnis: Am 6. Mai, dem Tag der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, fanden auch Stichwahlen für LandrätInnen und OberbürgermeiserInnen in Thüringen statt. Kaum war der Verlust der Abgeordnetenmandate für DIE LINKE bekannt geworden, twitterten thüringer GenossInnen voller Freude über vier neu gewonnene Landrats- und Oberbürgermeistermandate.
Ich konnte die Freude verstehen, ich habe auch gratuliert. Dennoch glaube ich – weitaus mehr als eine Befindlichkeit von mir – wie diese Tweets auch zu deuten waren: Warum lange über ersten Rauswurf aus einem Landesparlament jammern? Vorwärts, vorwärts, vorwärts, vom Osten lernen heißt siegen lernen!
Das fand ich schimm. Und kurzsichtig. Und ich spüre, dass viele in Ostdeutschland so denken: Die Wessis machen irgend etwas falsch. Sind nicht nah genug dran an den Menschen. Sie sind zu sehr auf anti. Wisst ihr was? Das ist alles Quatsch! Wir haben unterschiedliche Kulturen. Viele aus dem Westen sind ihr Leben lang in der Minderheit gewesen. Aber eben nicht alle. Als Gewerkschafterin und Betriebsrätin bin ich durchaus zum politischen Kompromiss erzogen worden. Außerdem leben bereits viele Ossis im Westen – und umgekehrt. Die Gradwanderung ist nicht Ost und West. Die Frage ist: Wie hältst du es mit dem Widerstand im Kapitalismus? Wie gedenkst du, ihn zu überwinden?
Jetzt kursieren mehrere Texte im Netz. Drei davon will ich erwähnen: Zum einen ein Aufruf an alle Parteitagsdelegierten, „Wir sind DIE LINKE“. In ihm heißt es Wir sehen die Gefahr, dass der Parteitag in einem Showdown endet, bei dem wir alle als DIE LINKE verlieren werden. Erwartet wird von den Delegierten des Parteitages die Fähigkeit, in ihrem Wahlverhalten die Vielfältigkeit unserer LINKEN abzubilden, nicht auszugrenzen und sich von der Maxime leiten zu lassen, dass in einem Parteivorstand vor allem Menschen tätig sein sollen, die im Austausch miteinander Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen und auf diesem Wege DIE LINKE nach vorn bringen. Ich habe diesen Aufruf (noch) nicht unterschrieben. Ich finde zwar nicht viel falsches daran, aber ich habe den Eindruck, es wird drumherum geredet.
In einem weiteren Text hingegen, der überschrieben ist mit Notwendige Re-Politisierung, heißt es: Die mediale Vereinfachung: »linksradikale Fundamentalisten« im Westen verlieren und »Reformer Ost« gewinnen, ist ebenso falsch wie das gegenteilige Bild. Nach dem Ausscheiden von Oskar Lafontaine aus der Bundesspitze der Partei ist in Ost wie West verloren worden. Die schon fast verzweifelte Suche nach den Ursachen der Wahlniederlagen reduziert sich nun auf einen Personenstreit.
Neben einer umfassenden Analyse, die auch die europaweite Entwicklung der Linken einbezieht, spitzen die VerfassserInnen letztlich zu: Personen wie Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und Lothar Bisky konnten die Proteststimmung in Politik verwandeln. Damals galt für Die Linke: »Die können das.« Glaubwürdigkeit und starke Persönlichkeiten an der Spitze der Partei erwarten auch linke Wählerinnen und Wähler, gerade wenn sie sich selbst schwach fühlen. Bei den »Kandidierenden« müsste es jetzt um diese Fähigkeiten gehen und nicht um innerparteiliche Taktiken und Winkelzüge. Es darf nicht wieder eine Führung zusammengekungelt werden, die vermeintlich (!) alle wichtigen Spektren der Partei, quotiert nach Geschlechtern sowie Ost und West, »einbindet«, ein abschreckendes Wort, die aber nicht danach fragt, wie sich eine zupackende und ausstrahlende Leitung entwickeln kann. Zwischen den Vorsitzenden wird es eine Geschlechterquotierung geben, aber eine »Arbeitsteilung« in Opposition und Regierung wäre kontraproduktiv. Eine solche Arbeitsteilung würde nicht nur die Vorsitzenden gegenseitig paralysieren, sondern die gesamte Partei. Mit Schrecken sei an die Spitzengruppe der PDS zu den Bundestagswahlen 2002 erinnert: Auf Großwerbeflächen blickten Dietmar Bartsch, Gabriele Zimmer, Petra Pau und Roland Claus nicht nur in verschiedene Richtungen, auch ihre Politik zielte in verschiedene Richtungen.
Als ich zur Delegierten gewählt wurde, brachte die Anwesenden auf der Mitgliederversammlung zum Ausdruck, dass sie von mir erwarten, dass ich Dietmar Bartsch nicht wähle. Mir fällt das nicht sehr schwer. Denn ich habe den Eindruck, dass die UnterstützerInnen von Bartsch eine andere Linke wollen als ich.
Das wäre an sich nicht weiter schlimm, denn die Pole können auch weiterhin miteinander ringen. Bestenfalls entsteht etwas Neues, Besseres. Die Basis ist das Parteiprogramm. Offensichtlich wird aber versucht, das Parteiprogramm zum Staubfänger zu machen: Mit einem alternativen Leitantrag zum Göttinger Parteitag soll das Programm offensichtlich verwässert werden. Er soll den Entwurf eines Leitantrages vollständig ersetzen. Ich werde dem bestimmt nicht zustimmen und aufmerksam verfolgen, wer diesen Alternativentwurf unterstützt und forciert. Und wie sich die KandidatInnen für den Parteivorsitz dazu verhalten.
Sebastian Koch – #1 – 19.05.2012 10:28 – (Antwort)
Die Existenz des Ersetzungsantrages zum Leitantrag hat mit dem Parteiprogramm rein gar nix zu tun. Das solltest du als Parteitagsdelegierte eigentlich wissen und auch nicht behaupten, dass der Ersetzungsantrag ausschließlich den Leitantrag ersetzt und keine einzige stelle im Programm.
Peter – #2 – 19.05.2012 22:03 – (Antwort)
Hallo Kersten,
leider hast du eine dritte diskutierte Alternative in der Eimsb. Gruppe vergessen zu erwähnen: Oskar, als Wessi und Sarah, als Ossi, zum Traum(vorsitz)paar!
Olga Fritzsche – #3 – 22.05.2012 06:07 – (Antwort)
Moin Kersten,
natürlich habe ich für den Hamburger Landesverband bei der Vorsitzendenberatung für Oskar und gegen Dietmar gesprochen, wörtlich davon, dass „95% der Hamburger Genossinnen und Genossen mit Oskar an der Spitze mit Wonne in den Wahlkampf ziehen würden“ und natürlich habe ich ausgesprochen, dass das in keiner Weise auf Dietmar zutrifft. Allerdings habe ich gemäß des einstimmigen Beschlusses der Landesvorstandes auch zu bedenken gegeben, dass die beiden eine einvernehmliche Lösung für ihre Kandidatur suchen müssen, ohne dass ein Drittel der Partei auf der Strecke bleibt, da das unheilbare Schäden hinterlassen würde. Der letzte Satz war, dass es nötig wäre (ausdrücklich als Plan B), wenn beide sich nicht einigen könnten, eine andere Parteispitze zu wählen. Daraus zu machen, Hamburg hätte sich für den dritten Weg ausgesprochen, finde ich schon ein starkes Stück.
So viel zur (*Vertraulichkeit*) die für diese Sitzung mit allen im Saal verabredet war.