BILD und die drei kleinen Unterschiede

Pech gehabt: Erneut wurde ein Abgeordneter während der Plenarsitzung von einem Boulevardfotografen abgeschossen, während er sich unbürgerschaftlich verhalten hat: Diesmal traf es Jörg Hamann, CDU. Er daddelte während der Sitzung mit seinem Smartphone ein Spiel. Zwei Tage später wurde der Vorfall doppelseitig in der Zeitung präsentiert.

Wir erinnern uns: Vor fast einem Jahr knipste ein BILD-Fotograf den Grünen-Mann Anjes Tjarks, als dieser während der Sitzung Klassenarbeiten korrigierte. So was gehört sich nicht, war sich die Hamburger Gesellschaft weitgehend einig.

Ich hatte BILD dafür allerdings scharf kritisiert, was mit eine Erwähnung im BILDblog bescherte. Ich wurde mit den höchsten Zugriffe seit Bestehen meines kleinen Blogs belohnt.

Auch Daddeln ist eine Tätigkeit, die nicht während der Sitzung stattfinden sollte. Verboten ist es allerdings nicht. Verboten ist etwas anderes: Persönliche und bürgerschaftliche Unterlagen von Abgeordneten zu fotografieren, die auf ihrem Pult liegen oder die sie gerade lesen. Das steht in der Hausordnung, das wissen alle MedienvertreterInnen und -vertreter, vor allem die RathausreporterInnen der Hamburger Lokalpresse, die uns auf der Pressetribüne stets über die Schulter und auf die Pulte schauen.

Kommen wir zu den drei kleinen Unterschieden, die die beiden Vorfälle ausmachen – die gar nicht so klein sind:

Zunächst hat nicht BILD, sondern die Hamburger Morgenpost Jörg Hamann erwischt und die Geschichte in ihrer Freitagsausgabe gebracht.

Die Mopo hat zudem kein Schriftstück oder Notizen abgelichtet, sondern ein Spiel.

Der wesentliche Unterschied ist: Die Aufnahme von dem spielenden CDU’ler entstand situativ; BILD hingegen hatte systematisch motiviert einen Fotografen auf uns Abgeordnete angesetzt, uns bei unparlamentarischem Verhalten zu ertappen: Unordentlichkeit der Ablage unterm Pult, Trinken im Plenarsaal, beim Essen in der Kaisersaalkantine, Texte jeder Art auf den Pulten – wie eben eine Klassenarbeit. Der BILD-Fotograf hatte alles geknipst, was er vor die Linse bekam, mit verschiedenen Objektiven ging er vor wie ein Jäger im Urwald und in der Prärie: Mal hockte er, mal stand er auf den Zehenspitzen, mal stand er auf dem Balkon und hielt die Knarre, äääh, die Kamera senkrecht herunter …
Er verballerte bestimmt seine gesamte Speicherkarte und seinen Akku, als er auf der Pirsch nach dem einen Foto war, das der Springerpostille die passende Optik zu der fest eingeplanten Story bringen sollte.

Ich finde, es kommt auf diese Unterschiede an – unabhängig davon, wie ich es finde, womit sich Tjarks und Hamann beschäftigt haben.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es Reden und Debatten gibt, die an Langweiligkeit nicht zu überbieten sind. Es gibt so viele Rednerinnen und Redner in der Bürgerschaft, die rein gar nichts zu sagen haben, die nur Wörter darstellen. Sie sagen Sätze, die ich schon 100-mal gehört und gelesen habe. Sie verschonen mich nicht mit Uninformation, statt mir ein paar gute Argumente für ihre Position mitzugeben. Oder gezielt und gut anzugreifen und den Saal in Stimmung zu bringen.

Die Debatte um die Teilprivatisierung des CCH am letzten Donnerstag ist ein gutes Beispiel dafür: Die CDU-Rednerin prangerte an, dass der SPD-Redner, der vor ihr gesprochen hatte, sich nicht zum Messe- und Kongressstandort Hamburg bekannt hatte. Was erstens nicht stimmte und zweitens nicht der Kern des Problems gewesen ist. Aber auf Deubel komm raus muss der SPD einer reingepult werden.
Die anstehende Sanierung des CCH birgt eine ganz andere Brisanz – nämlich dass die SPD die Standortlogik des ehemaligen Bürgermeisters Dohnanyi (SPD) und der CDU-Senate lückenlos fortsetzt und auf private Investoren setzt. Da sind sich SPD und CDU weitgehend einig. Also wird lieber eine schlechte Rede geliefert, als die Regierungsfraktion zu loben. Meine Kritik habe ich daher versucht, unmissverständlich darzulegen.

Wie geht es jetzt mit uns Abgeordneten weiter, was dürfen wir während der stundenlangen Plenarsitzungen eigentlich noch? Wir dürfen vor allem Respekt haben. Davor, dass andere RednerInnen Aufmerksamkeit verdient haben, genauso wie sie Kritik und den forschen Zwischenruf aushalten müssen. Wer den Redenden nicht zuhören will, soll rausgehen. Es gibt genügend Bänke auf dem Flur.

Den Fotografinnen und Fotografen sei gesagt: Macht weiterhin eure Arbeit, beobachtet uns, schießt uns. Bleibt seriös, bleibt originell. Und lasst euch nicht für jeden Dreck benutzen.

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