„Ich kann nicht entscheiden, was ich sein möchte.“

Pinkstinks war im Hamburger Rathaus – ein Abend über die Rollen, die Träume und die Realität von Mädchen heute.
Was machen Mode, Fernsehen und Werbung mit unseren Kindern? Sorgen Sie dafür, dass Mädchen sich bereits mit elf Jahren zu dick finden? Dass Teenager den Laien-Models von Heidi Klum nachfiebern? Dass Kinder die Welt in rosa und hellblau einteilen und damit auch klare Rollen für sich empfinden? Ist das letztendlich die Ursache dafür, dass Schulabgängerinnen sich immer noch die niedrig bezahlten Jobs wie Friseurin, Verkäuferin oder Arzthelferin aussuchen, und in die Abhängigkeit eines Mannes begeben?

Diesen Fragen gingen die ExpertInnen der Podiumsdiskussion nach, zu der die Hamburger Linksfraktion am 27. September ins Hamburger Rathaus eingeladen hatte. Anlass war der UN-Weltmädchentag, der am 11. Oktober weltweit begangen wird – das erste Mal!

Zu Gast waren Professorin Petra Leutner von der Akademie Mode Design in Hamburg, Professor Stephan Herpertz vom Universitätsklinikum Bochum, Dr. Stevie Schmiedel, Genderforscherin und Initiatorin der Kampagne Pinkstinks.de und die Diplom-Theologin Susanne Herschelmann, Mitbegründerin von Kajal, der Beratungsstelle für essgestörte Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren.

Der umfangreiche Aufriss des Themenspektrums ergab sich aus den Eingangsbeiträgen: Kinder verstünden die Ironie und Doppeldeutigkeit von Werbung nicht. Sie würden den Show-Charakter einer Sendung wie Germanys Next Top Model nicht erkennen. Sie würden nicht wissen, dass alle Bilder auf Plakaten und in Zeitschriften, die Models abbilden, manipuliert sind. Oder wie Cindy Crawford es sagte: ,Ich würde gern aussehen wie Cindy Crawford!’“

Als sich Pinkstinks in Deutschland gründete, regte sich die Initiatorin Dr. Stevie Schmiedel vor allem über die sexualisierende Werbung auf. Um ihre Töchter zu schützen, fordert sie von der werbetreibenden Industrie, sich mit nackten Körpern, mit lasziv schauenden Models zurückzuhalten. Die Industrie reagierte ausweichend. Das sei übertrieben, Werbung würde in seiner Wirkung auf Mädchen überbewertet. Zur Podiumsdiskussion ins Rathaus wollt aber niemand von ihnen kommen – Stroer, JCDecaux und C&A sagten ab. Auch Ferrero, die mit dem rosa Überraschungs-Ei für Mädchen den Wahnsinn der geschlechtertrennenden Werbung auf den Gipfel getrieben haben. Die Außenwelt für Jungen und Mädchen teilt sich immer strenger, immer rigoroser auf: Ihre Rollen werden durch die öffentlichen Vorbilder geprägt – da kommen auch Elternhaus und Schule nicht mehr mit.

Gerade pubertierende Mädchen sind auf Bilder angewiesen, sagt Susanne Herschelmann. Was sie präsentiert bekommen, führt bei ihnen zu einem ständigen Unwohlsein. Es geht ihnen andauernd schlecht, sie mchten dieses Gefühl loswerden – und nehmen Medikamente oder andere Rauschmittel dagegen. Es entwickeln sich auch neue Ausmaße von großen Konkurrenzgefühle unter den Mädchen. Und bereits Elfjährige fänden ihre Oberschenkel zu dick. Die Diskrepanz zwischen dem, was sie sind und dem, was sie sie sein wollen, führt zu großen psychischem Stress – und das kann die Essstörung auslösen.

Symptomatisch sei die Selbstwertproblematik bei Frauen, sagte Stephan Herpertz. Sie glauben: Erst wenn ich abnehme, kann ich mich wohlfühlen. Das Gegenstück gäbe es auch bei den Jungen: Bei ihnen würde Aggressivität als Verhaltensmuster erlaubt, aber in der Schule erfahren sie dann die Ablehnung. ADHS, die Aufmerksamkeitsdefizitstörung, sei deswegen unter Jungen verbreitet.

Petra Leutner ergänzte: Der Hauptfeind von Mädchen und jungen Frauen sei die permanente Evaluation (Überprüfung, Bewertung) ihres Äußeren und ihres Verhatens durch sie selbst und durch andere, die durch „Germanys Next Top Model“ erheblich zugenommen habe. Castings-Shows würden Frauen ständig demontieren und demütigen. Sie berichtete aus der Modewelt, dass es vielfältige Initiativen gegen Magermodels gäbe. Die heutigen jungen ModemacherInnen würden mehr auf den individuellen Frauenkörper setzen. Ausschließlich Größe 34 gäbe es nicht mehr. Allerdings würde die Kreativität enden, wenn sie im Anstellungsverhältnis ständen.

Aus dem Publikum kamen erschütternde Berichte: Eine Frau berichtete, wie ihr Chef sie ständig wegen ihres Äußeren kritisiert hätte. Kolleginnen von ihr hätten sich buchstäblich schlank gekotzt, sie selbst habe gekündigt. Eine anwesende Soziapädagogin berichtete, dass sie die Mädchen nicht mehr mit ihren Botschaften erreiche. Eine noch sehr junge Teilnehmerin resümierte: „Ich kann nicht entscheiden, was ich sein möchte, es wird einem gesagt, was man sein muss.“

Der erste Weltmädchentag wird in Hamburg am 11. Oktober unter dem Motto „ohneUns is`nixX“. Von 12 bis 14 Uhr gibt es vor der Europa-Passage Mit-Mach-Aktionen, ab 15 Uhr wird ein großes Mädchenfest im Bürgertreff Altona gefeiert. Offen für alle Mädchen und jungen Frauen.

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