Männer und ihre Gesundheit

Am 3. November ist Weltmännertag. Die Linksfraktion hat eine Große Anfrage zur Männergesundheit eingereicht, die Antworten liegen vor. Hier eine auszugsweise Bewertung zu ausgewählten Stichworten. Reinschauen lohnt!

„Eine gewisse Übertherapie gehört eben dazu“, antwortete der Hamburger Urologe Hartwig Huland in einen SPIEGEL-Interview im Juli diesen Jahres auf die Frage, ob der PSA-Test zur Früherkennung von Prostata-Krebs Sinn mache. An diesem Krebs sterben in Hamburg jährich 220 bis 270 Männer. 90 Prozent von ihnen waren über 65 Jahre alt. Huland ist überzeugt davon, dass der umstrittene Test dabei hilft, ein Karzinom rechtzeitig zu erkennen – selbst wenn er in Folge 50 von 100 Männern sinnlos operiert.

Der Mediziner scheint großes Interesse an hohen Fallzahlen zu haben, denn Krankenkassen zahlen den Test nicht, es gibt in Deutschland auch kein Früherkennungsprogramm für Prostata-Krebs. Die AOK warnt sogar: Testergebnisse können auf Krebs hinweisen, obwohl da nichts ist. Zwei von drei Männer erhalten diese falsche Diagnose.

Ihre Gesundheit ist ein Thema, über das Männer nicht gern sprechen. Und sich noch weniger darum kümmern. Mit dramatischen Folgen: Sie sind Vorsorge-Muffel, ackern bis zum Umfallen, leben viel zu riskant, erkranken in jungen Jahren häufiger als Mädchen und Frauen und sterben auch noch früher. Mann, Mann, Mann …

Die Große Anfrage Männergesundheit der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft durchforstete jetzt die Strukturen des städtischen Gesundheitssystems mit Blick auf die Männergesundheit: Neun Themenbereiche wurde abgefragt: Selbsthilfe, Patientenrechte, Migration, Sucht, Gewalt, Lebenslagen/Arbeit, Krebs, HIV/Aids, Männerheilkunde/Forschung.

Das Ergebnis war ernüchternd, die Datenlage dürftig. Obwohl eine Metropole immer besondere Merkmale ausweist, brach der Senat recht häufig die bundesweiten Erkenntnisse auf Hamburg runter – das ist keine große Hilfe, wenn man spezifische Interessen politisch beleuchten möchte. Lassen sich die Gesundheitsdaten von Männern in ländlichen Regionen mit Städtern wirklich vergleichen? Einige Themen der Großen Anfragen sollen hier näher beleuchtet werden.

Sucht

Sucht ist ein Thema, das besondere Aufmerksamkeit verdient: Immer weniger Jungen und Männer konsumieren illegale Drogen, mit Ausnahme von Cannabis: Der Wert stieg von 5,2 Prozent in 1997 auf 11,5 Prozent in 2009. Wobei ein durchgängiges Problem deutlich wird: Drei Jahre alte Daten sind nicht hilfreich, wenn das Suchthilfesystem auf den Prüfstand kommt. Demzufolge antwortet der Senat, dass ihm die Gründe für diese Entwicklung nicht bekannt ist. Und er orakelt: Womöglich hätten Rauchverbote an Schulen und Präventionsarbeit dazu beitragen. Aber was plausibel klingt, muss nicht mit der Realität übereinstimmen. Der geschlechtsspezifische Blick fehlt ganz: Dass Gender Mainstreaming in der Suchthilfe praktiziert wird, glauben wir gern – aber jeder Beweis fehlt. Warum das aber wichtig ist, zeigt folgendes:

Die häufigste Todesursache bei 40-45-jährigen Männer ist die alkoholische Leberkrankheit, bei 45-49-Jährigen der Herzinfarkt, bei 50-75-Jährigen ist es der Lungenkrebs. In Hamburg sind zehn Prozent aller 18-64-jährigen Männer Raucher. 14 Prozent gelten als riskante Trinker. Frühes Sterben deswegen müsste nicht sein.

Gewalt

Gewalt ist eine akute Gesundheitsgefährdung – doch wird sie in der Regel nur unter Sicherheitsaspekten gesehen. Der Volksglaube findet es immer noch weitgehend normal, das sich Jungen raufen und auch mal zuschlagen. Fakt ist, dass fast 30 Prozent aller Männer, die Opfer von Gewalt wurden, noch unter 21 Jahre alt sind. Harmlos ist was anderes, den lebenslange Behinderungen oder der Tod können die Folge sein. Gewalterfahrungen im Kindesalter sich besonders traumatisch auswirken, ist bekannt. Umso befremdender ist, dass nicht bekannt ist, wie viele Eltern ihre Kinder schlagen oder anders misshandeln. Auch der Umfang häuslicher Gewalt, die Männer erleben, bleibt unklar. Beratungsstellen haben nur wenige Männer aufgesucht, knapp 60 im letzten Jahr. Das Tabu bleibt im Nebel.

Ein weiteres, heikles Thema ist Gewalt in der Pflege. Zahlen aus 2005/2006 besagen, dass fast 40 Prozent aller Pflegekräfte gegen über von ihnen Gepflegten Gewalt – psychisch und physisch – ausgeübt haben. Bei pflegenden Angehörigen liegt die Zahl noch höher, knapp jeder fünfte übte körperliche Gewalt aus. Mehr Männer als Frauen, 18,1 zu 13,5 Prozent – haben angegeben, dass sie als Gepflegte schlecht behandelt wurden – konkrete Aussagen zu Gewalterfahrungen gibt es aber nicht. Abgesehen von der politischen Misslage der Pflege – Unterfinanzierung, steigende Fallzahlen – müsste konkret die Gewalt in der Pflege wirksamer als bislang bekämpft werden. Entlastungs- und Weiterbildungsangebote wären das gebotene Muss!

Säuglinge/Kleinkinder

Im Jahr 2011 starben 43 männliche Säuglinge unter einem Jahr in Hamburg, aber nur 26 weibliche. Kleine Jungen erkranken häufiger an Bronchitis, Bindehaut- und Mittelohrentzündungen, Magen-Darm-Infektionen, Heuschnupfen und Asthma – warum das so ist, scheint nicht bekannt zu sein. Beim Reizthema Vorhautbeschneidung mangelt es ebenfalls an Erkenntnissen: Weder über die Anzahl beschnittener Jungen, noch über den Umfang von daraus resultierenden Komplikationen, noch über die Vor- und Nachteile der Vorhautbeschneidung sind dem Senat belastbare Erkenntnisse bekannt. Wieso unterstützt der SPD-Senat dann aber ein Gesetz, dass die Beschneidung regelt ? KinderrechtlerInnen bedauern dies.

Fakt ist: Weltweit geht die Zahl der beschnittenen Männer, die derzeit zwischen 25 und 33 Prozent liegt, drastisch zurück, allen voran in den USA hat der Glaube an die Vorzüge des beschnittenen Penis offenbar ausgedient. Wird hier eine Debatte abgewürgt, nur weil sie die Gesellschaft polarisierte? Dem Kindeswohl trägt das nicht Rechnung. Ich hätte es gut gefunden, wenn die so genannte religiöse Beschneidung durch ein anderes Ritual ersetzt werden könnte – wie die Taufe ein symbolischer Akt wird.

Arbeit

Über nichts identifizieren sich Männer mehr, als über ihre Arbeit – von Fußball vielleicht einmal abgesehen. Und das ist nicht zu ihrem Vorteil, denn menschliche Bedürfnisse stehen dann oft hintenan, Und das schadet der Gesundheit. Doch wie Männer in Hamburg arbeiten, wie viele Überstunden sie machen, wie viel sie verdienen, wie viel Urlaub sie haben, darüber gibt es leider kein aufschlusssreiches Bild.

Lückenhaft sind die Erkenntnisse, wie viele Überstunden gemacht werden, bezahlte und unbezahlte. Immerhin wird derzeit geprüft, im Arbeitsschutzgesetz rechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz vor psychischen Belastungen bei der Arbeit zu schaffen. Leider wird aber vorwiegend auf Verhaltensprävention gesetzt, nicht auf Verhältnisprävention – damit ist kein ausreichender Schutz vor psychischen Belastungen bei der Arbeit, Arbeitsverdichtung, Mobbing, Angst um den Arbeitsplatz gegeben. Dass Maßnahmen für Menschen mit psychischen Einschränkungen durch das Jobcenter aus betriebswirtschaftlichen Grünen zum Ende August diesen Jahres eingestellt wurden, ist in diesem Zusammenhang ein Skandal.

HIV/Aids

Der Schwerpunkt des diesjährigen Weltaidstages am 1. November lautet: „Positiv zusammen leben – und arbeiten!“ Der Senat schätzt, dass 5.600 Menschen mit HIV/Aids in Hamburg leben. Im letzten Jahr hat es über 200 Neuinfektionen gegeben und 30 AIDS-Neuerkrankungen. Zweidrittel der mit HIV-infizierten Menschen sind berufstätig – ob das auch für Hamburg gilt, weiß man nicht. Aus Beratungserfahrungen wissen die Fachleute, dass HIV/Aids ein Tabuthema am Arbeitsplatz ist und dass viele an HIV/Aids leidende Menschen erwerbslos sind und in prekären Verhältnissen leben.

Der diesjährige Weltaidstag sollte für den Senat ausreichend Anlass sein, sich aktiver als bisher dafür einzusetzen, dass in den Betrieben nicht weiter ausgegrenzt und diskriminiert werden darf. Hierzu reicht es nicht, sich einmal an Betriebe zu wenden, wie dies in 2011 geschehen sein soll.

Der Geschlechterblick auf die Gesundheit der Bevölkerung lohnt sich – gegen Kommerz Vermarktung

Die zentralen Stellschrauben einer effektiven Gesundheitsversorgung scheinen geschlechtsneutral zu sein. Fehl-, Über- und Unterversorgungslagen werden schlecht erforscht, resümiert der Gesundheitsexperte Thomas Altgeld aus Niedersachsen. Die konsequente Etablierung von Gender Mainstreaming wäre ein Quantensprung. Unterschiedliche Bedürfnisse der Geschlechter erfordern unterschiedliche Angebote. Solange Behandlungsprogramme, gesundheitliche Informationen und Fördermaßnahmen geschlechtsneutral ausgestaltet sind, seien sie schlecht angelegt.

Was auch nicht vergessen werden darf: Männer sind im Gesundheitsmarkt eine attraktive Zielgruppe: Potenzmittel und Schönheitsoperationen bringen aber nur zweifelhaften Nutzen, verwischen aber auf jeden Fall die wirklichen gesundheitlichen Probleme, die Männer haben. Leistungssteigernde Mittel für Sport bis zur Arbeit machen oft nur kränker als gesund. Dass in diesen Zusammenhang das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Junge ihre Männerbroschüre ausgerechnet „Männer in Bewegung“ nannte, ist mehr als oberflächlich und wegorientierend.

Eine geschlechtergerechte Neuorientierung der Gesundheitswissenschaften und -versorgung benötigt politischen Rückhalt und keine Forschungsparadigmen des patriarchal organisierten Medizinbereichs, sagt Altgeld. Daran sollte die Hamburger Politik ansetzen und den Ball aufgreifen.

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