Zu Gast bei den Aleviten

Diesen Abend habe ich lange erwartet – ich war das erste Mal beim Aschure-Tag dabei. Das ist das Ende des zwölftägigen Fastenbrechens, das jedes Jahr von den Alevitinnen und Aleviten aus Trauer und in Gedenken an die Morde von Hasan und Hüseyin und dem Leiden der zwölf Imane in Kerbela gedacht wird.

Die alevitische Gemeinde hat ihre Räumlichkeiten am Nobistor. Ein großer weißer Raum mit vielen Tischen und Menschen erwartete mich. Ich kam ein bisschen später, das Essen hatte bereits begonnen. Wir waren zu sechs aus der Linksfraktion. Mir war die Aufgabe übertagen worden, eine Rede an die Versammelten zu halten.

Ich erzählte unter anderem davon, dass ich vor 20 Jahren, als die Brand und Mordanschläge auf zwei türkische Familien in Mölln durch Neofaschisten begangen wurden, mit meiner Familie dorthin gefahren war. Meine Kinder waren vier und fünf Jahre alt. Es war nicht ihre erste Demo, aber ihre ungewöhnlichste: Wir demonstrierten durch ein enges Spalier von Polizisten. Mölln hatte wohl Angst vor den Demonstranten? Vor Kindern? Sie wollten später wissen, wie ein Nazi aussieht. Ich wusste darauf keine kindgerechte Antwort zu geben, aber ich habe noch Wochen danach ihre Angst erlebt, die sie um ihre Kita-FreundInnen hatten, die ihre Wurzeln in der Türkei und in Ghana hatten.

Etwas war bei diesem Fastenbrechen ungewöhnlich: Es wurde nach den Redebeiträgen nicht oder nur verhalten geklatscht. Leider erst zum Schluss wurden wir darüber aufgeklärt, dass am Aschure-Tag nicht geklatscht wird.

Geklatscht wird dafür nächste Woche, wenn der Islam-Staatsvertrag in der Bürgerschaft beschlossen wird. Die muslimischen Gemeinden und Kirchen sind dann mit den Christen gleichgestellt. Das ist ein großer Schritt für die Muslime – und auch für uns!

Peinlich ist, wie die CDU-Fraktion sich darüber intern streitet. Die Rechtsaußen sind mit den liberaleren Kräften im Clinch, weil sie verfassungsfeindliche Kräfte erstarken sehen, wenn der Vertrag wirksam wird. Auf dem Weg in die politische Bedeutungslosigkeit geht die CDU damit gut voran.

Die FDP lehnt Verträge zwischen religiösen Gemeinschaften und dem Staat ganz ab und wird wahrscheinlich dem Vertrag ebenfalls nicht zustimmen. Ob sie erwägt, zu beantragen, dass alle anderen Kirchenstaatsverträge auch abgeschafft werden, ist bislang nicht bekannt.

Ich finde beide Positionen rassistisch. Die Vorbehalte gegen den Islam haben überhaupt nichts mit der Frage der Religionsausübung zu tun, sondern gehen allein auf Stigmatisierung zurück. Kopftuch? Noch mehr Feiertage? Dahinter steht meiner Auffassung nach auch die Grundhaltung, das die westliche Lebensweise im Kapitalismus die beste ist. Alles andere hat sich anzupassen und unterzuordnen. Doch genauso funktioniert friedliches Zusammenleben nicht. Vielleicht haben ja wenigstens einige CDU- und FDP-Abgeordnete den Mumm, dem Vertrag zuzustimmen.

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