Alltäglicher Sexismus – auch in der Politik

Sexismus ist alltäglich. Daher wundern mich die Berichte über sexistische Erlebnisse wenig, die nach dem Stern-Porträt von Laura Himmelreich über Rainer Brüderle auf Twitter unter dem Hashtag #aufschrei offenbart werden. Sie sind ein Akt der Befreiung, ein Akt der Solidarität. Mich wundert noch weniger die Gegenwehr drei einschlägiger Kreise – der Verleugner, der aktiv Beteiligten, leider auch der Betroffenen.

Auch ich konnte mit einem aktuellen Beispiel beitragen und tat es Freitagabend mit 140 Zeichen. Die Frauen, von denen ich berichtete, wurden – während sie für besondere Leistungen ausgezeichnet wurden – von dem sie auszeichnenden Mann getätschelt und geküsst.

Er umfasste ihre Taillen. Er zog sie eng an sich – fürs Foto. Ich dachte noch: Ob er aus dem Mund riecht? Ob sein After Shave stinkt? Ob ihm Haare aus Nase und Ohren wachsen? Warum halten sich alte Männer eigentlich oft für so unwiderstehlich? Altherrencharme kann so ätzend sein, so erniedrigend. Frauen erdulden ihn meistens. Es gehört zur normalen Konversation. Manchmal hoffe ich, dieser Sexismus müsste sich von selbst erledigen. Tut er aber nicht.

Sexismus, den Frauen im Beruf und Politik aushalten, ist noch schlimmer.

Wir werden an unserem Äußerlichen und weiblichem Verhalten gemessen. Die fachlichen Fähigkeiten müssen zudem stimmen! Wir sollen dreifach toll sein: Gut aussehen, geschlechtsspezifisch verhalten, im Job und als Abgeordnete Eye-Catcher sein. Eine Frau, die eines der ersten zwei Attribute nicht erfüllt, wird schon mal zur Merkel. Oder zur Lesbe. Oder sie ist untervögelt. Männer reden so. Frauen manchmal leider auch. Frauen spielen ihre Optik oft genug zu ihrem Vorteil aus. Sie sind Spielball auch auch Teilnehmerin der sexistischen Systematik. Wer das anprangert, ist neidisch. Basta. Diese Frauen sagen, sie können nichts dafür, dass sie so gut aussehen? Dann sollten sie mal ungestylt rausgehen!

Bei Frauen ist ihr Äußeres Maßstab aller primären Bewertungen, oft auch der eigenen. Die Kopfnote. Die Frauenbewegung der 1970er Jahre wehrte sich noch aktiv: Sie boykottierte den BH. Provokateurinnen zogen gar blank. Die Jugend dieser Zeit lief neutral in Parka, Wrangler und Palästinenser-Tuch herum. Geschlechtlichkeit wurde eher verleugnet, anstatt es als Teil der Persönlichkeit zu leben.

Heute steht das Individuelle im Vordergrund. Mädchen und Frauen wollen betont schön und klug sein. Die Frauenzeitschriften geben Tipps, welche Garderobe am Arbeitsplatz angesagt ist und bilden auch Politikerinnen in schicken Klamotten ab, zuletzt die FürSie vier weibliche Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft. Sie fühlten sich umschmeichelt, ich konnte das persönlich auch gut verstehen. Aber DIE LINKE hat trotzdem nicht mitgemacht.

Die Initiative Pink stinkt! klärt darüber auf. Geschlechterstereotypen werden uns bereits über die Farben rosa und hellblau eingeimpft. Mama und Papa prägen durch die Farbgebung des Kinderzimmers und den Babystramplern. Das Kind wird pränatal zu Mädchen oder Junge. Es ist ein Rollback in der Geschlechterdemokratie. Farben stinken nicht, Farben werden aber mit Verhaltensweisen verbunden.

Wie Sexismus verankert ist, zeigte sich, als einige Fraktionen der Bürgerschaft 2009 vor der Herausgabe eines Pixibuches über das Hamburger Landesparlament monierten, dass Mädchen, Migrantenkinder und Behinderte darin eine deutlichere Rolle einnehmen sollten. Der Entwurf wurde nachgebessert. Ein Kind bekam Zöpfe, die Namen wurden internationalisiert (Aydin, Svetlana), Hautfarben teils verdunkelt, ein Kind saß beim Klassenfoto im Rollstuhl. Das war gut.

Dann schlug das System zu:

Spiegel TV schoß damals durch eine verfälschende und übertriebene Präsentation der Angelegenheit zwei Abgeordnete, darunter mich, sturmreif. Wochenlang wurde ich durchs Netz gehetzt. Bis heute bekomme ich beleidigende, ehrverletzende E-Mails, weil der Beitrag immer noch auf YouTube zu sehen ist. Aus einem ansich harmlosen Sache wurde ein Inferno des Hasses auf zwei Politikerinnen, die sich anmaßten, einen altbackenen Kinderbuch-Entwurf sexistisch und rassistisch zu finden.

Ich hoffe, dass die aktuelle Debatte einen Beitrag leistet, Frauen als gleichwertige Menschen anzuerkennen. Viele Männer – Danke für die offenen Bekundungen! – finden den Sexismus á la Brüderle genauso eklig. Es bleibt jedoch dabei: Wir Frauen müssen uns selbst aus unserer Rolle befreien.

6 comments

  1. Kersten Artus sagt:

    Sasha – #1 – 27.01.2013 18:01 – (Antwort)

    Die FDP spricht von einer Kampagne gegen sich. Das ist doch mal was. Sonst gibt es doch immer Kampagnen gegen DIE LINKE. Na warten wir mal ab, was der Spiegel sich bis zur Wahl noch alles ausdenkt.
    Hm, ich als Mensch mit Schniedelwutz kann mich mindestens an 3 Begebenheiten erinnern, die man wohl als sexuelle Belästigung werten würde, wäre ich eine Frau. Begangen wurden diese durch Frauen, am Arbeitsplatz. Es passiert durchaus, dass einem als Mann, scheinbar beiläufig riesige Brüste aufgedrängt werden oder einfach mal an den Hintern gelangt wird. Gerne auch von älteren, notgeilen Damen. Seltsamer Weise ist sexuelle Belästigung durch Frauen am Arbeitsplatz oder anderswo selten ein Thema.
    Wäre es nicht mal emanzipierend, das anzusprechen?

    Sexismus ist permanent gegenwärtig, weil Sex eben ein Geschäft ist. Wenn ich z.B. lese, dass im deutschen Fernsehen jetzt ernsthaft Schweinesperma getrunken wird, muss man wohl langsam von babylonischen Verhältnissen sprechen. In Ihrer Analyse, Frau Kersten, befremdlich für eine Abgeordnete der Linken, fehlt die Ursache von alledem. Wir nennen sie Kapitalismus, in dem nur der Profit zählt und keiner der viel zitierten „Werte“, Ethik oder Moral. Menschen sind eine Ware und das macht Männer wie Frauen immer mehr kirre und krank. Jetzt diskutiert angeblich ganz Deutschland über Sexismus. In Wirklichkeit tun das nur die Redaktionen und ein paar Politikdarsteller, denn das ist ihr Geschäft. Nächste Woche wird dann wieder eine andere Sau durchs Dorf getrieben, die üblichen Spinner in die Talkshows eingeladen und das Volk mit Diskussionsritualen weiter eingeschläfert. Wer sich das Gesülze von angeblichen Experten und Interessenvertretern in der Glotze reinziehen kann, braucht ja nicht selber denken oder gar – Oh Schreck! – auf die Straße gehen.
    Für mich sind Frauen durchaus gleichwertige Menschen. Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, das wäre anders. Manche von ihnen würde ich gerne ficken, aber durchaus nicht alle. Ist das okay?

  2. Kersten Artus sagt:

    Gerda – #2 – 29.01.2013 21:46 – (Antwort)

    Hallo Frau Artus! Hier mein Lieblingszitat von Ihrer Fraktionsvorsitzenden:

    „Es muss aufhören, dass die Leute, die die Arbeit machen, ständig von der Basis angegriffen werden.“

    Dora Heyenn

    Liest sich das nicht ziemlich patriarchisch?

  3. Kersten Artus sagt:

    Kersten Artus – #3 – 30.01.2013 10:51 – (Antwort)

    Hallo Gerda,
    ich kenne den Satz von Dora Heyenn nicht. Wann und wo soll si das gesagt haben?
    Gruß, Kersten Artus

  4. Kersten Artus sagt:

    Elke – #3.1 – 31.01.2013 17:29 – (Antwort)

    Hi Kerstin, und ich dachte, ich bin altersmäßig davon befreit. Ich wurde eines Besseren belehrt und lernte einen gleichaltrigen Mann kennen. Den mußte ich auch erst mal bändigen.

    Nun können wir ganz entspannt telefonieren.

    Liebe Grüße von Elke und wenn Du die Faxen dicke hast, zieh Deine Rettungsleine – wie auch immer diese aussehen mag. Ich beliebe zu gehen, wenn ich nichts ändern kann.

  5. Kersten Artus sagt:

    Elke – #3.1.1 – 05.02.2013 10:53 – (Antwort)

    Entspannt telefonieren : ja

    Entspannt gemeinsam Auto fahren: nein

  6. Kersten Artus sagt:

    Gerda – #4 – 01.02.2013 20:41 – (Antwort)

    So bitte:

    http://www.neues-deutschland.de/artikel/228306.kandidatenstau-bei-der-linken.html

    Jenes Zitat hat dazu beigetragen, dass Frau Heyenn völlig zurecht nicht Parteivositzende geworden ist.
    Aber stimmt schon Frau Artus, ich würde das auch lieber vergessen.

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