Am Mikro

Was sind die Aufgaben der Linken aus gewerkschaftlicher Sicht in diesem Jahr, was sollten die Schwerpunkte sein? Zu dieser Frage fand der erste gewerkschaftspolitische Rat des Parteivorstandes statt. Ort: Frankfurt/Main, Jugendherberge.

Die derzeitige wirtschaftliche Lage lässt sich nicht auf die Bundesrepublik reduzieren. Griechenland, Spanien – die Politik von Frau Merkel und der EU reißen viele Länder in den sozialen Abgrund, schaffen Elend, entdemokratisieren die Politik. Die anstehenden Tarifrunden, die diesjährige Bundestagswahl werfen Schatten voraus. Das Verhältnis der Gewerkschaften zur SPD gilt als immer noch schwer gestört, vor allem nach der Agenda-Politik der Schröder/Fischer-Regierung, nach der Einführung der Rente ab 67. Und zur Linken?

Jetzt, wo ein Regierungswechsel in Berlin möglich scheint, blinkt die SPD links und will auch im Arbeitnehmerlager überzeugen, dass sie die richtige politische Kraft ist. Die Zweifel sind groß. Allerdings sind viele Hauptamtliche nach wie vor durch Mitgliedschaft der SPD verbunden. Wie ehrlich kann da Gewerkschaftspolitik sein? Können offensive Forderungen nach guten Lohnabschlüssen und einer Umkehr in der Rentenpolitik die SPD überzeugen, sozialer zu handeln? Mit einem Per Steinbrück als Frontmann? Die großen Zweifel sind berechtigt.

Zur Aussprache forderte Prof. Dr. Heinz Bierbaum, unser stellvertretender Parteivorsitzender und Landtagsabgeordneter im Saarland, auf sich entsprechend an dem Frauen-, bzw. Männer-Mikro anzustellen. Es passierte, was immer passiert: Im Nu bildete sich eine Schlange am Männer-Mikro. Am anderen stand minutenlang nur eine Person.

Es gibt heute niemanden mehr in der Linken, der über die quotierte Redeliste stöhnt. Die Genossen haben akzeptiert, dass ihre Redefreudigkeit, ihr Darstellungsbedürfnis per Order eingeschränkt wird. Die Quote wird von der gesamten Partei aktiv gedacht und gehandelt. Das ist längst nicht überall so.

Ich habe schon zweimal versucht, die quotierte Redeliste auf einem Verdi-Bundeskongress durchzusetzen. Ich bin gescheitert. Vor allem an den Frauen. Gewerkschafterinnen sind selten Feministinnen.

Gewerkschafterinnen, vor allem Betriebsrätinnen, haben gelernt, den Mund aufzumachen. Wenn sie aus einer Industriegewerkschaft kommen oder einem Betrieb mit überwiegendem Männeranteil sowieso. Das ist so, als wenn man sechs Brüder hat. Wenn Kolleginnen aus Frauenbetrieben kommen, haben sie in der Regel kein Gespür für ein vorhandenes Defizit und sind deswegen auch gegen getrennte Mikros, bzw. eine quotierte Redeliste. Also bekomme ich wohl auch künftig keine Mehrheiten für eine quotierte Redeliste auf Bundeskongressen. Immerhin: In Hamburg haben die Gewerkschaftsfrauen für die Landesbezirkskonferenz durchgesetzt, sie steht in der Geschäftsordnung. Ein Grund ist, dass der Landesbezirksfrauenrat immer feministisch geprägt gewesen ist – egal aus welchen Betrieben die Kolleginnen stammten.

In Frankfurt ging es so weiter: Nach der ersten Genossin stellten sich zwei weitere an. Dann kam ich hinzu. Nach mir reden vier weitere Frauen.

Es passierte auch etwas sehr Typisches. Heinz Bierbaum ermahnte diejenigen, die am Mikro standen, nach dem fünften oder sechsten Redebeitrag, sich kurz zu fassen, damit möglichst viele dran kämen. Drei Minuten, bat er, möge man nicht überschreiten. Ansagen wie diese sind üblich (und richtig), wenn man vorher keine Redezeitbegrenzung macht.

Hätte es keine getrennten Mikros gegeben, hätten Frauen also einen geringeren Redeanteil gehabt. Sie hätten im hinteren Teil einer langen Schlange gestanden. Die erste Frau wäre erst dran gewesen, als Heinz Bierbaum in die Ordnung eingriff.

So ist es immer. Auch auf Partei- und Gewerkschaftstagen. Schlimmstenfalls werden die Redelisten auch mit Geschäftsordnungsanträgen gedeckelt. Schluss der Redeliste oder Ende der Debatte. Frauen, die sich üblicherweise nie so schnell ans Mikro stellen wie Männer, haben das Nachsehen.

Was habe ich zu der inhaltlichen Fragestellung gesagt? DIE LINKE hat die Aufgabe, auf die Vielfältigkeit der betrieblichen und gesellschaftlichen Konflikte Antworten zu finden und Orientierung zu geben. An vier Beispielen haben ich deutlich gemacht, wie unterschiedlich die Kämpfe sind: Die Druckerei der Frankfurter Rundschau schließt, über 400 Menschen verlieren ihre Arbeit. Eine Transfergesellschaft kommt – aber die Perspektivlosigkeit ist groß, der Frust. Die politische Einschätzung der Auseinandersetzung wurde seitens Verdi nicht geleistet.

Zweites Beispiel: Magdeburger Volksstimme: Die Redaktion ist nun komplett ausgegründet. Die Betriebsübergänge wurden mit Arbeitsverträgen gestaltet, die Gehaltsabschmelzungen (!) vorsehen. In der strukturschwachen Region Sachsen-Anhalt regt sich gesellschaftlich wenig Widerstand dagegen, wenige RedakteurInnen und der Betriebsrat kämpfen weitgehend allein.

Drittes Beispiel: Neupack, Hamburg. Eine in großen Teilen migrantische Belegschaft mit Niedriglöhnen kämpft für einen Tarifvertrag bei dem Verpackungsmittelhersteller. Die sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Gewerkschaft IG BCE ruft nach 40 Jahren Sendepause zum Streik auf. Die richtige Strategie muss immer wieder neu diskutiert werden. Streiks sind in der Regel keine demokratische, sondern auch eine autoritäre Angelegenheit. Konflikte programmiert.

Viertes Beispiel: Tarifrunde Öffentlicher Dienst. Für Hamburg heißt das: Die SPD – die im September die Bundestagswahlen mit dem Thema soziale Gerechtigkeit gewinnen möchte – hat angekündigt, dass jeder Tarifabschluss über 1,5 Prozent dazu führen wird, dass Personal im Öffentlichen Dienst abgebaut werden wird.

Vier Beispiele, die Antworten benötigen, unterschiedliche Strategien erfordern. Hier liegt die große Herausforderung für DIE LINKE, die Vielfältigkeit zu erkennen und Position zu beziehen.

Ich hatte den Redebeitrag nicht geplant. Männer gehen oft mit fertigen Vorträgen ans Mikro. Das machen Frauen mehrheitlich nicht. Nach der quotierten Redeliste sollte es unser nächster Anspruch sein, dass wir uns mehr aufeinander einlassen. Weniger Selbstdarstellung, mehr aktives Zuhören. Davon haben alles etwas – Männer wie Frauen.

Bernd Riexinger sagte in seinem Schlusswort, dass die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen immer noch sehr männlich gedacht werden, Beispiel Automobilindustrie. Dabei hätten Erzieherinnen und Krankenschwestern eine viel größere Streikerfahrung als die Kollegen von Daimler. Da lachten die weiblichen Anwesenden im Saal. Das war ein wichtiger Gedanke, der festzuhalten mehr als lohnt. Auch Tarifpolitik wird von den Gewerkschaften noch nicht ausreichend unter Genderaspekten gedacht. Auch hier kann DIE LINKE Anstöße und Orientierung geben. Sofern sie auch daran denkt.

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