Gewerkschafterinnen und soziale Medien?

„Da habe ich keine Zeit für!“, fanden einige der Kolleginnen, mit denen ich heute zusammen gesessen habe, um über die sozialen Netze zu reden. Nur wenige von uns sind bereits auf Facebook oder nutzen Twitter.

Eingeladen hatten wir – die Gewerkschafterinnen des Landesbezirksfrauenrates Verdi Hamburg (LBFR) – zu diesem Thema Agnieszka Krzeminska. Sie bietet Trainings und Coachings an. Sie nennt ihr Konzept Socialmediaführerschein und koordiniert außerdem die Digital Women Media. Das ist ein Netzwerk von Frauen, die im und mit dem Internet arbeiten.

Warum sollte sich eine Betriebs- oder Personalrätin auf Facebook oder Twitter tummeln? Wie viel Zeit kostet das und wie ist das mit dem Datenschutz? Diese Fragen bewegen viele von uns. Aus gutem Grund: Wir arbeiten ganztags, in Schicht oder am Wochenende. als Interessensvertreterinnen kämpfen wir gegen Kontrollen und Überwachungsmöglichkeiten durch die IT.

Agnieszka erzählte, dass das Durchschnittsalter der NutzerInnen von Facebook über 40 Jahre beträgt. Frauen nutzen es zur Kommunikation fast genauso aktiv wie Männer. Aber offenbar läuft die digitale Kulturtechnik an einer Bevölkerungsgruppe wie uns mehrheitlich vorbei.

Warum ist das so? Berufstätige Frauen sind in der Regel eingewoben in anstrengende und ausgefüllte Tagesabläufe. Arbeit, persönlicher Haushalt, pflegerische Familienaufgaben und Freizeitinteressen, die jenseits der Onlinewelt liegen, sind die Gründe. Auch die Mediennutzung ist eher klassisch: Radio, Fernsehen, Festnetztelefon, Zeitungen, Bücher. Aber E-Mails und Handys sind schon selbstverständlich.

„Wir können uns doch weiterhin Informationen per Rundmail zusenden!“, entgegnete eine Teilnehmerin auf den Vorschlag, auf Facebook eine eigene Gruppe für uns einzurichten, in der wir miteinander kommunizieren, Texte und Fotos austauschen können. „Ich finde dieses Facebook so verwirrend, ich soll da so viel anklicken!“, sagte eine weitere Anwesende mit verschränkten Armen zur Bekräftigung.

Gezwungen werden kann und soll niemand, in die sozialen Netze zu gehen. Wenn es aber stimmt, dass jedeR sechste Deutsche bereits soziale Netze nutzt, sollten die Möglichkeiten, die sich dadurch auch für frauenpolitisch Interessierte bieten, nicht ausgespart bleiben.

Es ist aber auch so: Auch unsere Kolleginnen, mit denen wir in den Betrieben zusammen arbeiten, sind dort – vor allem die Jüngeren. Wir können auf andere und manchmal einfachere Art Kontakt mit ihnen aufnehmen. Insbesondere wenn wir in Großbetrieben arbeiten, kann Facebook eine ergänzende Form sein, über arbeitsrechtliche und gewerkschaftliche Themen und Ziele zu informieren – und zu diskutieren.

Dabei verschwimmen reale und Onlinewelten: Das direkte Gespräch kann im Internet anfangen und in der Kantine und im Betriebsratsbüro fortgesetzt werden – und umgekehrt.

Ist Facebook ein Zeitkiller? Dazu kann es werden. Viele Menschen versinken in der Welt der Spiele, der Nachrichten, der Links. Aber Fernsehen und die vielen Sender sind auch endlos, wenn man das Gerät nicht ausmacht oder umschaltet.

Die sozialen Netze bieten uns aktiven Gewerkschafterinnen zudem die Chance, mitzuerleben, wie sich das Kommunikationsverhalten verändert – und trägt dazu bei, uns selbst zu verändern.

Klar ist: Kritische Menschen bleiben auch online kritisch, aufmerksame Menschen werden sich auch auf Facebook nicht zu beliebigen Leuten entwickeln. Man sollte in den sozialen Netzen auch nur das preisgeben, was man auch auf eine Postkarte schreiben oder in seinem Büro an seine Pinnwand hängen würde – dann ist man auf der sicheren Seite. Dazu gehören auch die persönlichen Daten wie Geburtstag oder Telefonnummer.

Die sozialen Netze unterstützen die gewerkschaftliche Arbeit: Wir treffen dort andere gewerkschaftliche Gremien, andere Aktive, erfahren schneller und mehr über Streiks in anderen Branchen, anderen Städten – und zwar durch den O-Ton von Streikenden, durch Fotos und Videos von KollegInnen.

Wir sind nicht mehr auf die Mainstream-Berichterstattung der großen Tageszeitungen angewiesen und können besser bewerten, warum etwas nicht in unserer Abo-Zeitung nicht steht oder in der Tagesschau läuft.

Es ist ein Versuch wert. Auch wenn viele von uns eigentlich keine Zeit dafür haben.

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