Von wegen Politikverdrossen

Wenn es nach einer jüngsten Umfrage geht, interessieren sich 35 Prozent der 10- bis 17-Jährigen nicht oder nur wenig für Politik, habe ich in der Süddeutschen Zeitung vom 22. März gelesen. Das ist natürlich eine dürftige, dünne Aussage, allein zwischen einer zehn- und einer 17-jähirgen würde ich schon mal unterscheiden. Ich war jetzt in einer zwölften Klasse an einer Hamburger Handelsschule und habe 90 Minuten lang über Politik diskutiert.

Einige der Jugendlichen hatten Plakate gemalt, auf denen sie die ihnen wichtigen Themen dargestellt hatte. Bei den Mädchen waren dies vorrangig Gewalt und Tierrechte, bei den Jungen Cannabis und Rassismus. Als wir die Runde machten, was sie sonst noch so interessiert, kamen diese Stichworte: Wahlrecht für alle, Atomversuche, Armut, Elbphilharmonie, Stalking im Internet/Facebook, Überwachung im öffentlichen Raum, Syrien-Konflikt, Schwule/Lesben. So unpolitisch ist also unsere Jugend …

Wir einigten uns auf zwei Themen, die wir besprechen wollten, wobei bei Facebook schon die Finger hochschossen und die Meinungen gesagt wurden. Das Datensammeln, das Angemache von Kindern, überhaupt der Einfluss der Social-Media-Plattform wurde sehr kritisch gesehen.

Ich fragte, ob sie wissen, was die eigenen Eltern wählen, wobei ich drei unterschiedliche Aussagen bekam: Ja, Nein, und: Sie dürfen nicht wählen. Ich saß in einer Klasse, in der nicht nur die Eltern zum Teil nicht wählen durften, sondern einige der Schülerinnen und Schüler auch nicht. Da nutzt ihnen auch das Wahlrecht ab 16 nichts, dachte ich mir. Die Auseinandersetzung mit dem Rassismus ist eben konkret!

Die Themen, die wir dann vertieften, waren Legalisierung von Cannabis und Gewalt gegen Frauen.

Darüber, dass Kiffen dick macht, lachten sie, als ich das sagte. Aber dass Cannabis bei Krebs zur Appetitanregung und bei SchmerzpatientInnen zur Linderung eingesetzt wird, stieß auf Interesse. Alle waren sich schnell einig, dass es eigentlich nicht logisch ist, dass gefährliche Suchtmittel wie Nikotin und Alkohol erlaubt sind, Cannabis aber verboten.

Dass jugendliche TestkäuferInnen vom Senat eingesetzt werden, um KassiererInnen zu kontrollieren, fanden einige richtig, andere falsch. Ein Junge schlug vor, dass es spezielle Geschäfte für Zigaretten und Alkohol geben solle. Eine Idee, die ich gar nicht so schlecht fand.

Gewalt gegen Frauen fand niemand gut. Der Mord an der Deutschafghanin Morsal 2009 war allen bekannt, vor allem die Mädchen nickten. Mit der Vergewaltigung in Indien haben sie sich intensiv beschäftigt. Aber ein junger Mann sagte, Gewalt gegen Frauen habe es eben schon immer gegeben.

Eine junge Frau sagte, dass sie es schlimm fände, wenn den Männern immer wieder verziehen würde. Ein anderer meinte, man müsse alle Männer, die Frauen schlagen, so lange ins Gefängnis stecken, bis sie begriffen haben, dass das schlecht ist. Ich erzählte von den Frauenhäusern, vom Wegweisungsgesetz, und brachte ein bisschen Statistik und dass Gewalt in allen Milieus und Schichten verbreitet ist.

Was kann man gegen Gewalt an Frauen und Mädchen tun? Wenn es ausreichend günstigen Wohnraum gut bezahlte Arbeit für Mädchen und Frauen, wäre eine Hauptursache von Gewaltbeziehungen schon abgeholfen. Aber ich wies auch darauf hin, dass jede Vierte Opfer von Gewalt ist und dass sie aufmerksam sein mögen, wenn eine Schülerin mit Sonnenbrille zur Schule kommt oder wenn sie erzählt, sie sei die Treppe hinuntergefallen.

Und daher habe ich mich auch sehr gefreut, dass am Schwarzen Brett der Schule die Notfallhotline groß ausgeschildert hing, an die sich Betroffenen wenden können.

Ein Kommentar

  1. Kersten Artus sagt:

    uschi – #1 – 05.05.2013 12:54 – (Antwort)

    Ich würde niemals von Politikverdrossenheit sprechen. Das ist ein Propagandabegriff der bürgerlichen Medien. Parteienverdossenheit und Politikerverdrossenheit ist hingegen sehr nachvollziehbar. Und das wird sogar noch verstärkt, arbeitet man mit Mandatsträgern zusammen und sieht sämtliche Clichés über Politiker bestätigt. Die Leute, die mit Parteien ihr Geld machen, wollen uns glauben lassen, dass es Parteien braucht, um sich demokratisch zu organisieren. Sinnvoller wäre eine Verkürzung der Regelarbeitszeit auf 30 Std., damit mehr Leute Zeit haben, sich einzubringen. Aber natürlich haben unsere Stellvertreter-Demokraten überwiegend kein Interesse daran, dass ihnen zu viel Leute auf die Finger schauen. Täglich eine Viertel Stunde Tagesschau-Propaganda muss langen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert